: „Man lebt nicht von Berlin“
My House Is Your House – Labels in Berlin (VIII): Auf Ad Noiseam bringt Nicolas Chevreux Krach und Breakcore heraus. Und Hiphop, weil es ihn nervt, dass immer nur weiße Männer seine Musik hören
VON ANDREAS HARTMANN
Ad Noiseam ist ein Wortspiel. Es erklärt sich, wenn man das lateinische ad nauseam mit „bis zum Kotzen“ übersetzt und dann mit dem schlichten englischen Wort für Krach, noise, kombiniert. Richtig glücklich wirkt Nicolas Chevreux, der Betreiber von Ad Noiseam, aber nicht, als er am Schreibtisch seines Büros in Prenzlauer Berg den Namen seines Labels herleitet. Nicht dass er was hätte gegen Krach bis zum Kotzen. Aber sein Programm hat nun mal viel mehr zu bieten als selbigen. Jedenfalls inzwischen.
Am Anfang, als der aus dem französischen Grenoble stammende Chevreux vor fünf Jahren in Berlin sein Label startete, war das noch anders: Da war er tatsächlich auf Krach ausgerichtet – auf Industrial und Maschinenlärm. Doch kaum dass er damit in der etwas härteren Gruftszene Aufmerksamkeit erregt hatte, orientierte er sich schon wieder woanders hin: Es ging „in Richtung Clubmusik“, womit Chevreux weniger geschmackvollen Minimal Techno als vielmehr ruppigen Breakcore meint. Auch wenn Letzterer besonders ökonomisch Chevreux immer noch wichtig ist, befindet er sich eigentlich auch jetzt schon wieder auf dem Absprung: Immer stärker sollen sich die Dinge auf Ad Noiseam um alle möglichen Spielarten des Postrock und sogar um Hiphop drehen. Gerade erst ist eine EP des psychedelischen Apokalypserappers Dälek aus New York erschienen, berühmt auch für seine scheppernden Beats.
Die Ausrichtung des Labels ist ganz einfach mit dem Musikgeschmack Chevreuxs gewachsen. Gleichzeitig ging es aber auch immer schon aus Prinzip darum, sich möglichst nicht zu sehr auf ein Genre festzulegen. Das große Plus eines Einmannmusikbetriebs lässt diese antinerdige Philosophie der Vielfältigkeit zu, ist andererseits auch ein Risiko: Als kleines Label, das sich um Nischenmusik aller Art kümmert, hat man es schwer, wenn man sich einer klar umrissenen Identität verweigert.
„Viele Leute haben ein Problem damit, überhaupt einschätzen zu können, was ich mache“, sagt Chevreux und wirkt dabei leicht nachdenklich. Er weiß, dass ein bewusst nicht verfolgter roter Faden im Programm schnell dazu führen kann, als profilloser Gemischtwarenladen wahrgenommen zu werden. Und vorstellbar ist es schon, dass jemand, der über den Breakcore von Bong-Ra oder Enduser auf das Label aufmerksam geworden ist, mit den Field Recordings und sich endlos ausbreitenden Gitarren von Magwheels nicht so viel anzufangen weiß.
So ist Ad Noiseam in der Berliner Labellandschaft, wo jeder brav ein Stückchen fein säuberlich abgesteckten Acker bestellt, immer noch nicht richtig angekommen. Chevreux bleibt eine Randerscheinung: Er veranstaltet keine Labelabende, bekommt keine Aufmerksamkeit von den Stadtzeitungen und profitiert nur wenig vom Berlin-Hype. Er findet das aber gar nicht so schlimm. In Frankreich hätte er ein Label wie Ad Noiseam gar nicht hochziehen können, meint er: „Dort gibt es keine Musikkultur, die Leute gehen nicht in Clubs.“
Berlin dient ihm nun als eine Art Durchlauferhitzer, als billiger Standort, von dem aus er seine Platten dann aber international vertreibt. Hier knüpft er Kontakte, geht viel auf Konzerte und hält sich im Plattenladen „Dense“ auf dem Laufenden. Auch die Vernetzung mit Musikern und Labelbetreibern, die Ähnliches im Sinn haben wie er, klappt ganz gut – etwa mit Jason Forrest und dessen Label Cock Rock Disco. Ad-Noiseam-Produkte landen dann aber doch eher in anderen Städten und Ländern. „Man lebt hier, aber man lebt nicht von Berlin“, sagt Nicolas Chevreux.
Endusers eben wiederaufgelegte EP „Bollywood Breaks“, auf der indischer Pop gehörig durch den Fleischwolf gedreht wird, ist angeblich ein Hit auf Bollywood- Partys in England. Das zumindest habe er gehört, sagt Chevreux. Andere seiner Breakcore-Platten würden gerade besonders gut in Holland und Belgien laufen, wo die Breakcore-Szene jung und frisch sei. Nicht so elitär und verkrampft wie in Berlin, wo eine sich als anarchisch und diffus links verstehende Szene versucht, der neue Punk zu sein.
Einmal hat Chevreux eine Party im Bastard veranstaltet, erzählt er, und wurde beschimpft, weil es zu kommerziell zugegangen sei. „Wenn der Eintritt mehr als drei Euro beträgt, das Bier mehr als einen Euro kostet und die Toiletten nicht total versifft sind, dann gilt man schon als Verräter. Diese spießige Politisierung, das finde ich schlimm an Berlin“, so Chevreux.
Es gibt noch etwas, was im sichtlich Kopfzerbrechen bereitet: Der Breakcore, der auf seinem Label erscheint, gern klirrt und hart ist und bei dem möglichst durchgeknallte Beats versuchen, sich gegenseitig aufzufressen, zieht ein immer gleiches männliches Publikum an. „Ich möchte nicht, dass meine Musik nur von weißen Männern gehört wird“, sagt er. Deswegen freut er sich auch so, dass Endusers „Bollywood Breaks“ wenigstens bei indischen Migranten gut ankommt.
Das Problem von Breakcore als Jungsding ist freilich hausgemacht: Der Szene fällt es schwer, sich von ihren lächerlich gewordenen Dogmen, dem Härte-Machismo und ihren Ausschlussmechanismen zu verabschieden. Auch Chevreux hat da wenig Hoffnung. „Breakcore dreht sich im Kreis“, sagt er und drückt einem die Dälek-EP in die Hand. Hiphop, da geht noch was, den hören auch Frauen.
Ad Noiseam 2001–2006 – Five Years of Good Music (Doppel-CD/DVD); www.adnoiseam.net