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Archiv-Artikel

Freilauf im Grunewald

Die Klinsmannschaft wird von Fans, Hunden und Journalisten umlagert. Nach einer Fitnesseinheit („Stabilität, Kraft und Explosivität“) steht nun eine kleine Ruhepause auf dem Trainingsprogramm

AUS DEM GRUNEWALD MARKUS VÖLKER

9.16 Uhr: Nachricht vom Deutschen Fußball-Bund: Das Training findet nicht im Amateurstadion von Hertha BSC statt. Stattdessen absolviere das Team eine „Fitnesseinheit im Hotel“, heißt es. Wir, die taz und ein Kollege von Spiegel Online, fahren zum Schlosshotel in der Brahmsstraße im tiefsten Berliner Grunewald. Eine Absperrung hält uns auf. Es geht zu Fuß weiter. Ein Polizist sagt „Morjen“.

Wir kommen bis zum Tor des Hotels, wo ein paar Anhänger stehen. Auch der Bild-Reporter Walter M. Straten scharwenzelt vorm Tor der Nobelherberge herum. Die Nationalspieler sind im Hof doppelt anwesend. 23 Pappkameraden stehen da. Die Doppelgänger werden signiert. Der Papplehmann trägt die Nummer 9, nicht die 1. Per Mertesacker hat Mühe, sich zu finden.

9.25 Uhr: Möbelpacker schleppen die Spieler in einen Lkw. Sie werden zu einer Versteigerung gebracht. Bevor das andere Team vom Fahrdienst in den Tennisclub Blau-Weiß 1899 e. V. zum Training chauffiert wird, wollen die Fans Autogramme sammeln. Sie duzen das Nationalteam, rufen „Olli“ und „Arne“ und „Miro“. Neuville kommt zu ihnen. „Olli, der Torheld“, sagt ein Zaungast. „Wer ist der große Blonde?“, fragt eine Frau. Es ist Mertesacker. Joachim Löw nähert sich. „Jogi, das ist ein guter Junge, weiter so, ihr macht uns glücklich“, ruft Edgar.

Edgar ist fast immer da. „Der ist ein Superfan“, erklärt seine Nachbarin. Edgar, 45, Dentaltechniker aus Liessow in der Nähe von Schwerin, hat fast alle Unterschriften auf seinem Deutschland-Trikot beisammen. „Seit Pfingstmontag bin ich da und verfolge das Team. Mir fehlt nur noch der schwarze Mann“, sagt Edgar, „aber der ziert sich ein bisschen.“ Gerald Asamoah geht auch diesmal vorbei. „Der hört mich gar nicht, weil er immer die Proppen im Ohr hat“, ärgert sich Edgar. Kahn schlurft heran, grimmigen Blicks. „Der guckt wieder in den Tunnel“, glaubt der Superfan, der bis Nachmittag in der Pool-Position ausharren will. Am 10. Juli, einen Tag nach dem Finale, will er am Römer in Frankfurt stehen, „wenn die Jungs ein wohlgeformtes Ding in der Hand halten.“ Den WM-Pokal.

10.14 Uhr: Selbst auf dem Parkplatz des exklusiven Tennisklubs Blau-Weiß sieht man sie: Autos mit Fähnchen – auch auf einem Smart mit der Aufschrift „www. berliner-schoenheitschirurgie.de“. Auf einem Schild neben einem Mercedes SLK steht: „Nur für Mitglieder und Gäste“. Wir gehen trotzdem rein. Ein Tennislehrer sagt: „Die vom DFB sollen superfreundlich sein, das sagen jedenfalls die Platzwarte. Der Boris Becker hat hier ja mal den Affen gemacht.“ Das Training des DFB-Teams findet in der „Fünfplatz-Tennishalle“ statt. Dort wurde ein Fitnesspark aufgebaut, mit Trimm-dich-Geräten und Muskelmachern. „Klinsmann kommt immer eine Stunde früher, der gibt sich da die Kante“, sagt der Tennislehrer, der die Fitnessgeräte inspiziert hat: „Vom Allerfeinsten, kalifornischer Standard, alles Hightech.“ Aber das dürfe er uns, der Presse, eigentlich gar nicht verraten. „Schauen Sie sich jetzt lieber nicht um, sonst kriege ich Ärger“, bittet er uns, als er uns den Weg zur Halle weist.

10.20 Uhr: Wir kommen nur auf Sichtweite an die Halle heran. Am Tor stehen zwei Bodyguards. „Hier ist kein Reinkommen“, sagt einer. Wir lungern in bester Paparazzo-Manier vor dem Eingang herum. Dann tut sich etwas. Der Teampsychologe Hans-Dieter Hermann, der wie der ältere Bruder von Klinsmann aussieht, verlässt das Gelände und plauscht mit uns. „Der Grunewald ist wie ein Regenwald“, sinniert er, „Sie hätten das heute Morgen nach dem Regen sehen sollen.“ Ein Riesenschnauzer wird von seiner Halterin durch den Grunewalder Regenwald geführt. „Der ist ganz durch den Wind“, sagt Frauchen über ihren Hund, „der wollte unbedingt zu den Fußballern.“ Selbst Hunde scheinen in diesen Tagen merkwürdig bewegt zu sein.

11.56 Uhr: Ankunft im Pressezentrum des Fußball-Bundes im ICC. Die WM-News, ein tägliches Blättchen des DFB, das im Congress Centrum ausliegt, macht ganz groß mit Deutschlands berühmtestem Einwechselspieler auf. Überschrift: „David Odonkor hat Grund zur Freude“. Paule, das Verbandsmaskottchen, schreibt in seiner Kolumne, dass es in Deutschland „viel Merkwürdiges“ zu entdecken gebe. Zum Beispiel die DFB-Pressekonferenz. Sie beginnt pünktlich.

12.30 Uhr: Stenger gibt das Programm der kommenden Tage durch. „Einige Spieler werden von der Familie besucht werden“, kündigt er an. Dann steigt Klinsmann aufs Podium. Er hat einen guten Tag erwischt, wirkt entspannt. Er sagt: „Die Blickrichtung geht nach vorn auf unser erstes Spiel in Berlin, in unserer Hauptstadt.“ Am Dienstag gegen Ecuador. In der Tennishalle habe das Team „Stabilität, Kraft und Explosivität“ trainiert. Dann haben die Spieler bis Samstag, 17 Uhr freibekommen. „Ich habe keine Probleme, ihnen Freilauf zu geben“, sagt der Coach, „sie sind erwachsene Leute und werden nicht um drei Uhr heut Nacht in einer Diskothek in Berlin rumhängen – das wissen wir.“

13.01 Uhr: Philipp Lahm sagt: „Es passt alles im Moment.“ Das kann so stehen bleiben.