Was ist super?

Das ist super: eine junge, schöne und schlaue siebenköpfige Band aus Berlin, die Super 700 heißt und mit ihrem ersten, selbst betitelten Album auf dem besten Weg ist, die deutschen Garbage zu werden

Was Super 700 ganz bewusst vermeiden: Musik für Leute zu machen, die „man sowieso schon persönlich kennt“Die Themen von Super 700 sind: Verlust der Selbstkontrolle, Paarritt auf dem Satelliten, sieben Tage Regenwetter

von RENÉ HAMANN

Wie schwierig es ist, gute Musik zu machen, eine gute Band zu sein, erkennt man manchmal erst, wenn man eine schlechte vor sich hat. Eine Band, die es nicht schafft, aus den übergroßen Fußstapfen ihrer Vorbilder herauszukommen. Deren Musik, deren Texte so zusammengeklaubt und schlecht montiert wirken und so talentfrei dargeboten, dass man nur noch schreien mag. Es gibt sehr viele von diesen Bands, besonders viele deutsche, immer noch, und meist singen sie Englisch, ein meist sehr schlechtes dazu.

Super 700 gehören nicht zu diesen Bands. Klar, Super 700 kommen aus Berlin und singen Englisch, aber sie können das. Sie singen Englisch, weil sie sich dazu entschieden haben. Was lustig ist: Seit Juli, Silbermond, Wir sind Helden oder Tomte werden Bands aus Deutschland wieder dazu angehalten, Deutsch zu singen. Weil es erfolgversprechender zu sein scheint. Logisch. Super 700 haben sich dagegen entschieden, und zwar ganz bewusst. Sie sind zu siebt. Vier Männer an den Instrumenten, drei Frauen an den Mikrofonen. Die drei Frauen sind Schwestern, Zwillinge und eine ältere Schwester. Die Schwestern stammen aus einer Familie mit albanischem Hintergrund. Alle sieben wohnen in Berlin, über die gesamte große Stadt verteilt. Ihren Übungsraum haben sie in Oberschöneweide, und einer Szene gehören Super 700 nicht an. Das ist das Zweite, was sie bewusst vermeiden, Musik für Leute zu machen, die „man sowieso schon persönlich kennt“, das kennen sie vom Jazz, aus dem sie tatsächlich herkommen. Besonders Bassist Michael Haves, der mit der Ältesten der Schwestern, mit Ibadet Ramadani, für die musikalischen und textlichen Ideen sorgt, hat da seine einschlägigen Erfahrungen gemacht.

Die Musik, die Super 700 machen, hätte man vor zehn Jahren noch unter „Alternative“ abgeheftet. Sie ist gleichermaßen kantig wie wohlfeil, sie hat Schärfe und Druck, und sie lebt natürlich insbesondere vom Zusammenspiel zwischen Ibadet und ihren Schwestern und den Jungs an den Instrumenten. Als Band gibt es sie seit erst drei Jahren, musikalisch unterwegs sind die meisten von ihnen schon an die fünfzehn Jahre. Zahlreiche Projekte, Bands, die sich schnell wieder auflösen mussten, mit „Rappern, die dann anfingen, Architektur zu studieren“, wie Michael Haves erzählt. Für Super 700 gilt: Musik ist die Alternative. Ziel ist, „in der Welt rumzukommen. Vom Musik machen, fürs Musik machen“ zu leben. Was kein leichtes Spiel ist. Die nötigen Tricks, in der Musikindustrie zurecht zu kommen, haben sie jedenfalls drauf. Sie nennen eine Demo-CD ein „Booking Tool“, sie kannten ihren neuen Produzenten, weil sie einen Artikel über Aufnahmetechnik von ihm gelesen hatten. Sie lassen sich über das Radio aus, sie haben ein Video für MTV gedreht, allerdings ohne sich wirklich Hoffnung zu machen, gespielt zu werden. „Eigentlich ist das nicht unsere Welt“, meint Ibadet. „Wir bieten etwas an, um etwas angeboten zu haben“, erklärt Michael.

Stattdessen haben sie jetzt eine Myspace-Seite eingerichtet. Ansonsten hat der Wechsel zu Motor einiges erleichtert. „Es ist schön, wenn man sich nicht mehr um alles kümmern muss, wenn Leute da sind, die einem Arbeit abnehmen“, sagt Ibadet. „Es ist schwer, für sieben bis acht Leute einen Lebensentwurf zu finden, der diese Band möglich macht auf Dauer, man kann ja nicht abhängig irgendwo arbeiten, wenn man dauernd unterwegs ist“, meint Michael Haves, der nebenher Studio- und auch Theaterarbeiten macht. Alle sieben jobben nebenher. „Meine Schwester ist eben wieder gefeuert worden, weil sie nicht zeitlich frei ist und nicht immer springen kann“, sagt Ibadet. Aber sie haben sich für diesen Weg entschieden, noch eine dieser wichtigen Entscheidungen, will man was erreichen in der Welt, mit der Musik, und da ist Berlin natürlich auch eine Stadt, die einen solchen Entwürfe gut möglich macht. Die dritte Vermeidungsstrategie lautet: Hinhören. Die eigenen Entwürfe, Stücke sorgsam prüfen, ob sie nicht zu sehr klingen wie die Lieder anderer Gruppen. Auf ihrer neuen CD, dem offiziellen Debüt „Super 700“, ist ihnen ein Stück unterlaufen, es heißt „Millions“, das so ein wenig klingt wie „1979“ von den Smashing Pumpkins. Ein langsames Anschieben einer Akustikgitarre. „Das ist uns leider zu spät aufgefallen, das hat erst unser Gitarrist im Nachhinein gemerkt“, lachen Michael und Ibadet. Aber die Smashing Pumpkins oder die Red Hot Chili Peppers, das sind schon Adressen, mit denen man sich messen lassen könnte. Vielleicht noch nicht jetzt, aber später einmal.

Anderer großer Name: The Strokes. Dessen Produzenten haben sie gewinnen können fürs Debüt. Gordon Raphael. Ihn an die Regler zu lassen, war auch eine bewusste Entscheidung, andererseits aber purer Zufall. „Wir haben mit anderen auf einer Party in unserem Studiogelände gespielt. Er hat’s gehört, ihm hat’s gefallen, er hat uns sofort angesprochen.“ Wie solche Zufälle halt passieren im Musikgeschäft. Das Erstaunliche ist, dass die Platte gar nicht so anders klingt wie ihr selbst produziertes Minialbum „When Hare and Fox Had Fun“. Raphael ist der Band, scheint es, mit Respekt begegnet, hat Akzente gesetzt, das Grundgerüst aber belassen. Was so mancher schade findet, besonders weil Super 700, die auf Platte schon super sind, live viel besser klingen. Druckvoller, schneidiger, mit tolleren Breaks und einer Wall of Sound, der aus dem Dreiklang der Schwesterstimmen stammt. „Studio ist halt ein anderes Feld. Auf der Bühne fehlt dafür manchmal die Differenzierung“, sagt Michael, und Ibadet: „Im Studio lernen wir ja noch. Da ist jede Kopfhörerverlängerung manchmal eine Blockade. Außerdem ist es besser, wenn man live noch einen draufsetzen kann.“

Lernen. Machen. Sich entwickeln. Super 700 sind jung und sehen gut aus. Ihren Waschzettel haben sie selbst geschrieben, statt langweiligen Biografien erzählen sie leicht märchenhafte Geschichten, die zu ihrem leicht mysteriösen Auftreten passen. Vielleicht sind die Songs auf der neuen Platte noch zu verhalten – echtes Hitpotenzial weist nur „Guys ’n’ Girls“ auf, obwohl die erste Single „Here Goes The Man“ sein wird. Aber die Stücke entwickeln Sog. Die Themen sind: Verlust der Selbstkontrolle, Paarritt auf dem Satelliten, sieben Tage Regenwetter. Besonders Letzteres scheint den deutschen Garbage (ha! Vergleich gefunden und gleich wieder zu vergessen) mit Blickfang Ibadet im Zenit besonders zu gefallen. Man muss es nur fühlen, sich von der Energie anstecken lassen, oder von dem Zauber, der von Ibadet Ramadani ausgehen kann, steht sie einmal auf einer Bühne.

Die Schönheit einer Sängerin sei doch kein Kriterium für Musikkritik, meinte einmal eine Leserin. Hier stimmt das Gegenteil, aber natürlich nur, weil die Band auch sonst über die richtigen Skillz verfügt. Nebenbei bemerkt, funktionieren auch männliche Popstars hauptsächlich über Optik, sofern die Musik einigermaßen akzeptabel ist, überhaupt lässt sich Popmusik nicht von Oberflächen trennen, selbst nicht in Zeiten verschwindenden Musikfernsehens und schnell tauschbaren Musikdateien. Auge hört mit, der Jugend gehört die Zukunft, gute Musik ist besser als schlechte Musik. Auf Super 700 jedenfalls sollte man ein Auge behalten – es könnte sein, dass noch viel von ihnen zu hören sein wird. Sehen gehen sollte man sie sowieso. Bleibt nur zu hoffen, dass niemand von ihnen auf die Idee kommt, Architektur zu studieren.