: Den Kampf um Ideen verloren
US-Präsident Bush ist gescheitert, weil er mit seiner hegemonialen Politik erreichen wollte, was nur multilateral zu erlangen ist: liberale und demokratische Gesellschaften
Als Reaktion auf die Attentate vom 11. September 2001 entwickelte die US-Regierung ein neues Konzept der nationalen Sicherheit: die Bush-Doktrin. Ihr zufolge sind auch präventive Militärschläge zulässig, ja manchmal notwendig. Zudem sollen Freiheit und Demokratie in Staaten gefördert werden, die als Brutstätten des radikalen Islamismus gelten, um sie so zu transformieren. Das amerikanische Magazin „Commentary“ bat anlässlich seines 60-jährigen Bestehens prominente Autoren, diese Doktrin zu bewerten. Am Donnerstag dokumentierten wir den Text von Bush-Befürworter Victor Davis Hanson, heute kommt der Kritiker Paul Berman zu Wort:
Die Bush-Doktrin enthält zwei Prämissen, die nicht miteinander vereinbar sind und deshalb zu unglaublichen Fehlern in der amerikanischen Politik führten. Die erste Prämisse besagt, dass die USA und die Welt von Schurkenstaaten und gefährlichen nichtstaatlichen Akteuren bedroht werden, deren Motive im Grunde eigennützig sind. Unter amerikanischer Befehlsgewalt und mit Hilfe neuester Militärtechnik gelte es, diese Feinde durch rasche militärische Aktionen zu unterwerfen.
Die zweite Prämisse geht davon aus, dass die Vereinigten Staaten und die Welt von einer ideologischen Bewegung bedroht werden, deren einziges Movens die willkürliche Ausübung von Gewalt ist und die den klassischen totalitären Bewegungen der Vergangenheit ähnelt. Da diese Bewegung auf Unterstützung in ihren Gesellschaften zählen könne, sei sie mit militärischen Mitteln allein nicht zu bezwingen.
Daher müsse eine ideologische Gegenbewegung diesen Totalitarismus im offenen Disput herausfordern und Erfolge durch die Errichtung von Institutionen absichern, die sich an liberalem und rationalistischem Gedankengut orientieren, kurz: in den Schlüsselregionen eine neue politische Kultur aufbauen. Um einer solchen Gegenbewegung durchzusetzen und sie sicher zu installieren, wäre militärische Gewalt als Anschub vielleicht notwendig. Letztlich aber müssten die Siege politischer und ideologischer Natur sein.
Die Verfechter der Bush-Doktrin haben meines Wissens die Prinzipien dieser zweiten Prämisse niemals im Detail dargelegt. Präsident Bush hielt zwar einige intelligente Reden über Totalitarismus und Hassideologien. Spricht er aber ohne Manuskript, bedient er sich eines saloppen Vokabulars, das eher einem Provinzpriester angemessen ist als einem Kampf der Ideen.
Wenn wir eine auf wahnsinnigen ideologischen Überzeugungen beruhende Massenbewegung besiegen wollen, dann müssen wir deren totalitäre Irrlehren in einem Kampf der Ideen besiegen. Die Bush-Regierung war nie fähig dazu, so etwas auf die Beine zu stellen, jedenfalls nicht so offen und ambitioniert, wie es in unserer gegenwärtigen Lage erforderlich wäre.
Stattdessen startete die Regierung völlig lächerliche PR-Kampagnen in der muslimischen Welt. Das verstärkt nur den Eindruck, bei der zweiten Prämisse der Bush-Doktrin handele es sich ebenfalls um einen PR-Trick, der nur dann aus dem Ärmel gezogen wird, wenn sich die Gelegenheit zu pathetischen Ansprachen bietet. Wenn wir von einem neuen Totalitarismus ausgehen, dann sind die Implikationen auch für einen militärischen Laien wie mich leicht zu erkennen. Denn dann sollten militärische Aktionen vor allem der Unterstützung der politischen Transformation und dem Rückhalt der antitotalitären Bewegungen in der Bevölkerung dienen.
Kampfmaßnahmen sollten demokratische und rationalistische Ziele unterstützen und müssen daher so gut wie möglich mit liberalen Prinzipien vereinbar sein. Für die unweigerliche Frage, wie man militärische Aktionen mit einer großen Truppenstärke unternimmt, welche die Prinzipien der Demokratie respektieren und die Entstehung einer neuen politischen Kultur fördern, gibt es eine nahe liegende Lösung. Sie besteht darin, sich der schwerfälligen Mechanismen des internationalen Rechts und der multilateralen Institutionen zu bedienen. Die erste Prämisse der Bush-Doktrin erfordert eine Planung, die militärisch zweckmäßig, flexibel und der Weltöffentlichkeit gegenüber gleichgültig ist.
Für die zweite ist es erforderlich, prinzipienfest und präzise vorzugehen und sich die Gewogenheit der Öffentlichkeit zu erhalten. Präsident Bush hat versucht, diese beiden Prämissen miteinander zu verknüpfen. Das kann nicht funktionieren. Er beschrieb den Feind auf höchst widersprüchliche Weise und stürzte damit den größten Teil der Welt und uns Amerikaner in verhängnisvolle Verwirrung. Es schockiert mich, dass sich das Weiße Haus vier Jahre nach dem 11. September 2001 noch immer nicht über den grundsätzlichen Charakter unserer Feinde verständigen kann.
Wir haben den Irak auf Grundlage der ersten Prämisse erobert und dann festgestellt, dass es richtiger gewesen wäre, auf der Grundlage der zweiten zu handeln. Das war katastrophal. Die erste Bush-Regierung unterschätzte 1991 die Baath-Regierung und überließ Saddam den Sieg, indem sie ihm erlaubte, an der Macht zu bleiben. Damit betrog sie die irakischen Kurden und Schiiten, die massenweise abgeschlachtet wurden. Die Regierung von George W. Bush beging den gleichen Fehler. Zum zweiten Mal tragen die USA die Verantwortung dafür, dass Iraker und damit unsere eigenen Verbündeten massenhaft von unseren gemeinsamen Feinden getötet werden. Das gehört zum Schlimmsten, was die USA in der jüngeren Geschichte angerichtet haben. Ginge es nach mir, müsste Bush, so wie es Abraham Lincoln im Bürgerkrieg tat, seine Spitzenberater feuern, bis ein neuer Ulysses Grant (Oberbefehlshaber der Unionsarmeen) auftaucht. Ich sähe es gern, wenn der Präsident denjenigen europäischen Linken die Hand reichen würde, die den Terrorismus ebenfalls für eine totalitäre Bedrohung halten. Ich gebe zu, dass ist nur ein Traum. Diese Regierung ist viel zu sektiererisch, um so etwas zu tun. Ihre Indifferenz und Inkompetenz ersticken jede Bemühung im Keim, die Katastrophen der Vergangenheit zu korrigieren.
Die gigantische Herausforderung, wie man den totalitären und faschistischen Bewegungen unserer Zeit Widerstand leisten kann, reduzierte sie auf die simple Frage amerikanischer Hegemonie. Wir sollten auf etwas anderes hinweisen: auf das Bedürfnis liberaler und demokratischer Gesellschaften, die Herrschaft von Prinzipien des menschlichen Anstands und des gegenseitigen Respekts fest zu etablieren. Wir sollten sämtliche Aspekte der Bush-Doktrin verwerfen, außer jenen, die man genauso gut als die Franklin-Roosevelt-Doktrin der Vier Freiheiten bezeichnen könnte. Die Vereinigten Staaten sollten großzügige Mittel für die außenpolitischen Projekte der Zukunft bereitstellen, aber diese Projekte sollten aus dem Geist eines pragmatischen Internationalismus geboren werden und nicht aus dem Geist eines inkohärenten Nationalismus. PAUL BERMAN