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Archiv-Artikel

181 Argumente der Stasi für ihren Job

GEHEIMSACHE Führende MfS-Mitarbeiter stellen ihr Buch „Fragen an die Stasi“ vor. Kompetent antworten ist aber nicht so ihr Ding

Rund 30 Personen haben sich versammelt, darunter zwei Frauen. Angesprochen wird mit Vornamen

VON WOLFGANG GAST

Zu Beginn wird eine Unterschriftenliste in Sachen Bundespräsidenten-Wahl herumgereicht. Das Anliegen ist eindeutig: „Keine Stimme für Joachim Gauck“ heißt es. Über den früheren Studentenpfarrer aus Rostock und späteren Bundesbeauftragten für die Hinterlassenschaften der Staatssicherheit heißt es weiter: „Sein militanter Antikommunismus hat Deutschland nicht geeint, sondern tiefer gespalten. Im Kampf gegen die ‚Diktatur‘ wurde er selbst zum Meinungsdiktator. Kein Wort hört man von ihm zu den Sparorgien der Bundesregierung, nichts zu Armut und Arbeitslosigkeit, zum Töten in Afghanistan.“

Es ist Mittwoch, früher Abend, wir sind in der Weitlingstraße im Berliner Bezirk Lichtenberg, die Räume gehören der „Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde“. Es ist kein Zufall, dass es am Anfang des Treffens um die Personalie Gauck geht. „Fragen an das MfS“ steht auf dem eigentlichen Programm. Es soll über das Buch mit dem gleichnamigen Titel gesprochen werden, das führende Mitarbeiter des einstigen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in diesem Frühjahr verfasst haben. Das knapp 400 Seiten starke Werk ist aus der Sicht der Verfasser eine „Entgegnung auf gängige Kritik und Vorurteile“, und für die steht keiner besser als der von SPD und Grünen nominierte Präsidentschaftskandidat.

Rund 30 Personen haben sich versammelt, darunter zwei Frauen. Das Durchschnittsalter dürfte über 65 Jahre liegen. Der Kreis ist klein, man kennt sich. Angesprochen wird mit Vornamen. Mit dabei ist etwa Gotthold Schramm, Mitarbeiter des MfS von 1952 bis 1990, letzter Dienstgrad Oberst, ab 1954 in der Hauptverwaltung Aufklärung zuständig für Geheimdienstbearbeitung und Spionageabwehr. Oder Wolfgang Schmidt, mit 17 Jahren von der Stasi angesprochen, Karriere im Ministerium, heute Betreuer der Homepage des „Insider-Komitees“.

181 Fragen in 19 Kapiteln werden aufgeworfen. Von „Was waren Tschekisten?“, über „Das MfS soll Killerkommandos im Einsatz gehabt haben?“ bis „Weshalb hat das MfS ‚Andersdenkende‘ verfolgt und die Opposition in der DDR unterdrückt?“. Das Buch polarisiert, weiß Frank Hoffmann vom Verlag Edition Ost zu berichten. Einige Buchhändler weigerten sich, den Fragenband zu verkaufen, andere hingegen könnten die große Nachfrage gar nicht bedienen. Es war wichtig, dass Buch zum 60. Jahrestag der Gründung des MfS erscheinen zu lassen, sagt der frühere Oberst Reinhard Grimmer. Verleumdungen und Unwahrheiten sollten damit aus der Welt geschafft werden. Ihm ist wichtig, festzuhalten, „dass die Arbeit der Aufklärung des MfS der international üblichen Tätigkeit von Auslandsnachrichtendiensten entsprach“.

Über den Inhalt des Buches muss nicht diskutiert werden, da sind sich die Anwesenden einig. Problematischer scheint dagegen, dass es aus den Reihen der früheren Genossen auch Kritik an „Fragen an das MfS“ gibt. Müsst ihr die ganze Geschichte wieder aufwühlen? Das bringt doch nichts, wäre es nicht besser zu schweigen? Das sei häufig zu hören. Kein Wunder, meint etwa Gotthold Schramm, der bedauert, dass nicht alle führenden Stasi-Genossen ihre Arbeit nach der Wende offensiv verteidigt hätten. Bleibt die Frage, wie glaubwürdig die Autoren Antworten geben. Die taz berichtete Mitte Januar, wie die Mitarbeiter der Abteilung – durch ein Interview, das der Schriftsteller Stefan Heym mit dem Leipziger Biologen Jakob Segal 1987 für die taz führte – die These lancierten, dass das Aids-Virus ein Ergebnis fehlerhafter US-amerikanischer biologischer Waffenforschung gewesen sei. „Eine Ente in jeder Hinsicht“, heißt es dazu in „Fragen an das MfS“. Der „Kron- und überhaupt einzige Zeuge“ für die Story, schimpfen die Verfasser, habe für Bares „stets Unerhörtes mitzuteilen“.

Geld gab es für den Mitarbeiter, der nach eigenen Angaben an dieser Desinformationskampagne beteiligt war, aber keineswegs. Und zum Inhalt der Geschichte, die Ende der 1980er Jahre für Aufregung sorgte, erklären sich die früheren Offiziere gar nicht. Der 2001 verstorbene Heym sei viel zu klug gewesen, „sich für eine solch niederträchtige Übung“ benutzen zu lassen. Die Tatsache aber bleibt, dass das Interview am 17. Februar 1987 gedruckt wurde. Manche der Antworten sind so gesehen mit einiger Vorsicht zu genießen. Das spielt an diesem Abend aber keine Rolle.