: Das goldene Zeitalter des Mbaqanga
SÜDAFRIKA Soundtrack der Townships: Die CD-Reihe „Next Stop … Soweto“ liefert viele Entdeckungen
VON DETLEF DIEDERICHSEN
Angesichts all der afrikanischen Musikschätze, die in den vergangenen Jahren gehoben und der Bewunderung eines globalen Publikums ausgesetzt wurden – von der Wüstenpsychedelia der syrischen Group Doueh über den melancholischen Ethio-Jazz eines Mulatu Astatke bis zum extraharten Funk des Orchestre Poly-Rythmo de Cotonou aus Benin –, erstaunt es doch, dass Südafrika bislang bei den Schatzgräbern eine eher geringe Rolle spielte.
Das mag viele Gründe haben, von der vitalen Gegenwart der dortigen Musikszene bis hin zu der Annahme, dass das Apartheidregime erfolgreich individuelle künstlerische Statements unterdrückte und alle interessanten Musiker früher oder später im Exil gelandet seien – von wo aus sie etwa in Gestalt von Miriam Makeba, Hugh Masekela oder Chris McGregor die globale Pop-, Jazz- und Soulwelt bereicherten. Aber das ist leider eine schönfärbende Annahme.
In Wahrheit war die Emigration nur Südafrikanern weißer Hautfarbe oder Glückspilzen möglich; eine Mehrheit hatte zu Hause zu bleiben und zu sehen, wie sie mit den Verhältnissen zurechtkam. Der „Separate Amenities Act“ verbot 1963 das Zusammentreffen von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe bei Vergnügungsveranstaltungen und an Orten, an denen Alkohol verkauft wurde. In der Konsequenz wurden schwarze Musiker dazu verdonnert, in den Townships genannten rassengetrennten Wohnsiedlungen „den Soundtrack zu Messerstechereien“ zwischen Gangs zu liefern, wie es der legendäre Posaunist Jonas Gwangwa formulierte.
Dass auch dermaßen widrige Bedingungen südafrikanische Musiker nicht daran hindern, zumindest inhaltlich erfolgreich an ihrer Kunst zu arbeiten, belegt die dreiteilige Compilationreihe „Next Stop … Soweto“ des verdienstvollen englischen Labels Strut. Mit der Veröffentlichung des Doppelalbums „Giants, Ministers and Makers: Jazz in South Africa 1963–1984“ liegt sie nunmehr komplett vor.
Dass das Land über eine vitale Jazzszene verfügt, war ja am ehesten nach außen gedrungen. Prominente Exilanten wie Masekela, McGregor oder Dollar Brand hatten sich unter erschwerten Bedingungen gegen die prominente Konkurrenz in Jazzmetropolen wie New York und London durchsetzen können und nicht zuletzt dank ihres Mbaqanga-Einflusses einiges an Aufsehen erregt. Masekela gelang 1968 sogar das Kunststück, das Mbaqanga-Instrumental „Grazin’ In The Grass“ in die Top 5 der US-Single-Charts zu bringen. Mbaqanga war ja in mehrfacher Hinsicht ein Pendant zur Bossa Nova Brasiliens.
Hier wie dort wurden ältere lokale Stile unter dem Einfluss von Jazz-Musik und -Habitus zu einer neuen Musik und einem neuen Lifestyle fusioniert. Beides waren Phänomene der bürgerlichen Klasse und spielten sich eher unter gut versorgten Heranwachsenden ab und weniger in Arbeiterkneipen. Beides kam mit einem eigenen Harmonieschatz, wobei im Mbaqanga die kleine Septime eine ähnlich zentrale Rolle spielte wie im Bossa Nova die große. Das sorgte für eine ganz eigene Charakteristik und Wiedererkennbarkeit und weckte das Interesse von Jazzern aus Übersee. Und beides stieß auf große internationale Aufmerksamkeit – auch Miriam Makeba, Südafrikas größter Star des 20. Jahrhunderts, war ursprünglich eine Mbaqanga-Interpretin.
Dass der Welterfolg des Bossa Nova letztlich um einiges größer ausfiel, dürfte vor allem der innenpolitischen Situation Südafrikas geschuldet sein: Mbaqanga war eine Musik, die Rassenschranken überwand, was im Südafrika der Apartheid schnell die Alarmglocken der Machthaber zum Schrillen brachte. So war es einer der Gründe, weswegen die Bewohner des Johannesburger Viertel Sophiatown in das weiter vom Stadtzentrum entfernte Township Soweto zwangsumgesiedelt wurden.
„Township Sounds From The Golden Age Of Mbaqanga“, Volume 1 von „Next Stop … Soweto“, gibt einen Einblick in diese Szene, die vom Apartheidregime abgewürgt wurde, bevor sie so richtig erblühen konnte. Bekannte Namen wie Makeba, Letta Mbulu oder Dorothy Masuka sucht man zwar vergeblich, aber Sammy Boy oder Aba-Lilizeli sind großartige Entdeckungen. Und von dem stilprägenden „Groaner“ Simon Mahlathini und seinen Mahotella Queens gibt es zwei großartige, wenig bekannte Songs.
Die überraschendsten Entdeckungen kann man jedoch auf Volume 2 machen: „Soultown. R&B, Funk & Psych Sounds from the Townships 1969–1976“. Dort können wir etwa Bekanntschaft schließen mit Südafrikas Hippie-Bewegung, den „Mahipis“, die einerseits zwar ihre Unzufriedenheit mit den Lebensumständen und dem Regime, das sie verursachte, zum Ausdruck brachten, andererseits aber auch die Kombination aus Machismo und stoischer Leidensfähigkeit ablehnten, die noch die Generation ihrer Eltern charakterisierte. Es reichte auch nicht mehr, musikalische Meisterschaft zu demonstrieren und dabei cool auszusehen, wie es noch für die Mbaqanga- und Jazz-Szene galt.
„Die Jugend aus den Townships wollte tanzen, aber sie wollte auch irritieren und unterminieren“, wie David B. Coplan in den Linernotes schreibt. „In diesen frühen Rock- und ‚Soweto Soul‘-Aufnahmen aus den siebziger Jahren spürt man schon die Aufbruchstimmung, die 1976 in die Studentenunruhen von Soweto mündet.“ Nicht die Beatles und der vergleichsweise freundliche Soul einer Aretha Franklin waren Einflüsse, sondern die bilderstürmerischen Acid-Rock-Klänge aus San Francisco und Künstler wie Sly & The Family Stone und Jimi Hendrix, wie Coplan erklärt. In der Folge ist das dominierende Instrument die Gitarre – und doch klingen die hier zu hörenden Gitarristen nie wie Hendrix oder die anderen Acid-Rock-Götter, sondern demonstrieren immer wieder ihre tiefe Verwurzelung im Sound von Jazz und Highlife.
Das andere dominierende Instrument ist die elektrische Orgel, was sicherlich – gerade in Verbindung mit funky Drumming – für einen hohen Hipness-Faktor in den Rare-Groove-Zirkeln der Gegenwart sorgen sollte. Andererseits ist es schon faszinierend, wie der Orgel-lastige Hippie-Rock von Procol Harum oder Country Joe & The Fish in Verbindung mit Zulu-Beats und Mbaqanga-Harmonien einerseits, eigenwillig produzierten Funk-Beats plus Jazz-Gitarren andererseits eine völlig neue Bedeutung erfährt. Und wie frisch und relevant viele dieser Aufnahmen in heutigen Popkontexten wirken.
Das Jazz-Kapitel schließlich führt uns noch mal vor Augen, wie viele außergewöhnliche Talente Südafrika in diesem Genre hervorgebracht hat. Leider ist den wenigsten von ihnen eine angemessene weltweite Anerkennung zuteil geworden. Erstaunlicherweise stechen auch auf Volume 3 nicht zuletzt die Gitarristen heraus, ob bei der Heshoo Beshoo Group, den Malombo Jazz Makers oder The Drive. Das ist insofern eine Überraschung, als die bisher bekannt gewordenen südafrikanischen Jazzer größtenteils Bläser (Masekela, Dudu Pukwana, Mongezi Feza etc.) oder Schlagzeuger (Louis Moholo, Makhaya Ntshoke) waren (plus der Pianist McGregor).
Aber vielleicht gibt es ja dank „Next Stop … Soweto“ ein ähnliches Happy End wie im Falle der äthiopischen Musiker Mulatu Astatke und Getatchew Merkurya, denen das durch die Wiederveröffentlichungen entstandene Interesse immerhin eine internationale Spätkarriere einbrachte.
■ Various Artists: „Next Stop … Soweto“ (Strut/ Alive) Vol. 1: Township Sounds From The Golden Age Of Mbaqanga; Vol. 2: Soultown. R&B, Funk & Psych Sounds from the Townships 1969–1976; Vol. 3: Giants, Ministers and Makers: Jazz in South Africa 1963–1984