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Archiv-Artikel

Komprimierte Zartheit

Mit Buhs und Bundespräsident Horst Köhler: Armin Holz inszeniert eine schnelle, musikalische „Doña Rosita oder die Sprache der Blumen“ von Federico García Lorca am Schauspielhaus Bochum

VON PETER ORTMANN

Federico García Lorcas berühmte Frauenfigur Doña Rosita hat einen entscheidenden Makel. Ihr Verlobter hält es mit dem alten Godot. Am Ende kommt keiner von beiden wieder. Jedes Publikum weiß das und geht dennoch in die Vorstellungen. Manchmal ist vielleicht doch alles anders, als man denkt. Vielleicht kommt ja doch einmal einer der beiden. In Bochum kam bei der Premiere von „Doña Rosita oder Die Sprache der Blumen“ Bundespräsident Horst Köhler und mit ihm merkwürdige Menschen mit Hörproblemen und Ohrsteckern.

Regisseur Armin Holz muss das alles bedacht haben. Seine Inszenierung war anders. Sie war kurz mit Musik und Tanz. Und er drehte die körperliche Entwicklung von Doña Rosita um. Ilse Ritter ist kein junges Mädchen mehr. Sie muss von Beginn an zu ihrem Alter stehen, kann aber dafür schlüssig über das Altwerden reflektieren. So hat man nie den Eindruck, dass sie zu irgend einem Zeitpunkt über die Wahrheit getäuscht wird.

Als Waise lebt sie bei Tante und Onkel. Verlobt sich mit Don Martin, dem reichen Erben. Doch der muss nach Amerika zu seinen Eltern, vertröstet sie mit falschen Versprechungen – und kommt nie wieder. Rosita wartet dennoch Jahrzehnte, klammert sich bewusst erst an die Hoffnung, dann an die Illusion. Bis ihr Leben zerbricht. Das dies geschehen wird, ist klar, denn diese Analogie wächst bereits im Garten ihres Onkels. Sie heißt „rosa mutabilis“ und ist eine Rose, die nur einen Tag erblüht: Morgens ist sie rot, abends weiß, und wenn es Nacht wird, verliert sie ihre Blätter. Und so wartet der Besucher still ergeben auf den Herbst und auf Rositas Tod.

In Bochum ist das Warten erstaunlich abwechslungsreich. Musikalische Einlagen, ganze Tanz- und Choreografie-Szenen verkürzen die Zeit. Warum ein Brechtscher-Duktus in die Lieder musste, erschließt sich im Bühnenbild vor Industriekulisse allerdings nicht.

„Die fragilen Kunstfiguren der Ilse Ritter überraschen immer wieder durch ihre innerliche Kraft“ sagte einst Luc Bondy über die Hauptdarstellerin, die mit allen großen Regisseuren des Theaters gearbeitet hat. Das hat sie auch in Bochum wieder bewiesen. Ihre Doña Rosita hat ein merkwürdiges Eigenleben. Eine Spur des Wissens durchzieht ihr Warten, ihre Unternehmungen, ihr Zurückziehen von der Welt. „Die Erinnerungen verfolgen uns“, sagt sie. Und sie machen das Leben zur Hölle. Rosita hat sich für ihren Weg entschieden und nimmt die Demütigung an.

Am Ende steht auch materieller Verfall. Das Haus des gütigen Blumenzüchters ist überschuldet, Hartz IV wartet. Das neue industrielle Zeitalter, das sich bereits an der Bühnenrückwand manifestiert hat, hat mit der Sprache der Blumen und mit Poesie nicht mehr gemein. Die Bewohner müssen das Haus verlassen. Die Rosen gehen unter. Rosita überlebt dies nicht mehr. Ihre Blütenblätter brechen. Armin Holz erhielt – fürs Bochumer Premieren-Publikum sehr ungewöhnlich – zahlreiche Buhrufe, als er mit seinen Schauspielern die Bühne betrat. Er nahm es gelassen, lächelte und kehrte immer wieder zurück. Ist ja auch nicht alle Tage ein Bundespräsident im Publikum.

Nächste Chance auf Rosen:Do, 22. Juni 2006, 19:30 UhrInfos: 0234-33335555