: Was uns die alten Preußen lehrten
Als vor 350 Jahren die Mehrwertsteuer eingeführt wurde, war dies ein revolutionärer Akt, denn sie beschnitt die Privilegien der Reichen. Heute hat sie den gegenteiligen Effekt
Obwohl die Mehrwertsteuererhöhung nun beschlossene Sache ist, ebben die Proteste nicht ab. Angesichts der zumeist kurzatmigen Kritik ist es sinnvoll, daran zu erinnern, dass diese fiskalische Maßnahme an eine lange Tradition anknüpft. Denn schon vor über 350 Jahren begannen deutsche Minister und Monarchen, durch indirekte Steuern ihren Untertanen das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Als einer der Ersten führte Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst von Brandenburg, im Jahre 1641 in großem Umfang indirekte Steuern in den preußischen Staaten ein. Allerdings waren die Ziele, die der Große Kurfürst mit der Einführung der „Akzise“ zu erreichen versuchte, in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil dessen, was heute durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer erreicht würde.
Dabei waren die Anlässe für die Einführung der Akzise und die Erhöhung der Mehrwertsteuer ähnlich. Auch 1641 lagen die Staatsfinanzen darnieder, die Lage war sogar um einiges dramatischer, als sie es heute ist. Der Dreißigjährige Krieg dauerte an, und die verstreut liegenden Besitztümer der Hohenzollern waren durch Krieg, marodierende Heerhaufen und Seuchen verwüstet. Dazu hatte die extrem kostspielige Kriegsführung auch die letzten Reserven der Staatskasse aufgebraucht. In seiner Not griff Friedrich Wilhelm zur Einführung einer fiskalischen Innovation, die bereits in Holland mit großem Erfolg praktiziert wurde.
Nach Ansicht vieler Zeitgenossen war der größte Vorzug der Akzise ihre Universalität. Jeder, der kaufte und konsumierte, musste sie entrichten. In einer Zeit, in der Adel und Klerus nahezu überall in Europa weitreichende Steuerprivilegien genossen, erschien eine Steuer, die ganz ungeachtet des sozialen Rangs erhoben wurde, als geradezu revolutionärer Fortschritt.
Die bis dahin geltende weitgehende Steuerbefreiung von Adel und Klerus war Hauptursache der verheerenden Staatsfinanzen der meisten Staaten Europas. Die reichsten Einwohner und größten Landbesitzer leisteten oft nur einen minimalen Beitrag zu den öffentlichen Ausgaben. Dieser Beitrag wurde noch dadurch verringert, dass die Erhebung der Steuern, die Adel und Klerus zu entrichten hatten, oft äußerst lax kontrolliert wurde.
Zugleich wuchsen die Aufgaben der sich formierenden europäischen Nationalstaaten in dieser Zeit kontinuierlich: das Militär, der Bau von Straßen und Kanälen, die Urbarmachung von Land, der Aufbau neuer Manufakturen, die Errichtung von Akademien und nicht zuletzt die immer prächtigere Hofhaltung der Monarchen führten zu einem wachsenden Finanzbedarf.
Bei der Suche nach einem Ausweg spielte wie so häufig in der Geschichte der Besteuerung das Beispiel eines anderen Staates eine entscheidende Rolle. In den Niederlanden wurden indirekte Steuern schon seit den Kriegen gegen Spanien im 16. Jahrhundert in größerem Umfang erhoben.
Dabei erfreute sich diese Form der Besteuerung in dem wirtschaftlich weit entwickelten Staat auch deshalb großer Beliebtheit, weil sie die Privatsphäre der Steuerzahler schützte. Die niederländischen Händler und Handwerker mussten dem Staat keinen Einblick in ihrer Bücher gewähren. Zudem wirkte die Akzise unmerklich: Anstelle einer jährlichen oder monatlichen Zahlung wurde sie kontinuierlich, bei jedem Kauf, in kleinen Beträgen erhoben.
Es war nicht zuletzt diese Eigenschaft, die die Akzise bei Steuerzahlern und Steueradministratoren gleichermaßen beliebt machte. Unter dem Eindruck des niederländischen Beispiels wurde die Akzise in Preußen 1641 zunächst provisorisch in einigen Städten eingeführt. Etwa 40 Jahre später avancierte sie dann zur dauerhaften Einrichtung.
Eines der wichtigsten Ziele bei der Einführung der Akzise war es, fiskalische Privilegien zu umgehen. Gleichzeitig jedoch führte die neue Steuer aber auch zu einer progressiven Besteuerung der wohlhabenderen Preußen. Der Grund dafür lag in der ökonomischen Rückständigkeit Preußens. Die Geldwirtschaft machte dort zur damaligen Zeit nur einen Teil der gesamten Warenproduktion aus. Die einfachen Konsumgüter der bäuerlichen Bevölkerung wurden häufig nicht durch Kauf erworben, sondern für den eigenen Bedarf in Heimarbeit gefertigt oder eingetauscht. Damit waren diese Produkte in der Regel nicht von der Akzise betroffen.
Sie betraf nur die qualitativ höherwertigen Waren der preußischen und ausländischen Handwerker und Manufakturen, die durch Kauf erworben wurden. Waren wie Seidenstoffe, edle Wollstoffe, Porzellan, modische Kleidung und Möbel wurden aber vor allem von den wohlhabenden Einwohnern konsumiert, die auch entsprechend mehr Akzise zahlten.
Die Nachfolger des Großen Kurfürsten setzten diese fiskalische Politik fort. Im Rahmen der großen Steuerreform Friedrichs des Großen wurde die Akzise noch mehr zu einem Instrument der Besteuerung der Wohlhabenden und privilegierten Schichten. Als Friedrich im Jahre 1766 durch die Einrichtung der so genannten Régie das preußische Steuerwesen von französischen Beamten neu organisieren ließ, gab er klare Anweisungen, Luxusgüter mit höheren Steuern zu belegen und gleichzeitig die Grundnahrungsmittel nur mäßig zu besteuern.
Die Einführung der Akzise unter Friedrich Wilhelm und die Weiterentwicklung dieser Steuer unter Friedrich II. zielte somit ganz ausdrücklich darauf ab, die Wohlhabenden und privilegierten Einwohner Preußens stärker an den öffentlichen Ausgaben zu beteiligen. Indem den Hohenzollern dies gelang, konnte der preußische Staat die Ressourcen mobilisieren, die notwendig waren, um Preußen aus seiner ökonomischen und kulturellen Rückständigkeit zu führen.
Doch: Der fiskalische Effekt indirekter Steuern hat sich seit den Zeiten des Großen Kurfürsten grundsätzlich gewandelt. Heute zeitigt eine Mehrwertsteuererhöhung trotz der Einführung einer symbolischen Reichensteuer genau den gegenteiligen Effekt: Nach der beschlossenen Reform werden ab Anfang 2007 die staatlichen Ausgaben vermehrt aus einer flachen Verkaufssteuer finanziert werden müssen – zu Lasten der Binnennachfrage, während die direkten Steuern auf hohe Einkommen weiterhin niedrig bleiben. Mehr noch: Die Entlastung der höheren Einkommen ist sogar besonders stark, weil die Mehrwertsteuer im Gegensatz zur preußischen Akzise keine erhöhten Steuersätze für Luxusgüter vorsieht.
Dass die große Koalition es sich leistet, angesichts der hohen Staatsverschuldung und notwendiger Zukunftsinvestitionen auf eine signifikante Besteuerung der Wohlhabenden zu verzichten, erscheint deshalb finanzpolitisch ausgesprochen waghalsig. Die Kanzlerin der großen Koalition täte gut daran, sich der fiskalischen Prinzipien des Großen Kurfürsten und seiner Nachfolger zu erinnern. Es waren diese Grundsätze, die Preußens ökonomische Entwicklung und den Aufstieg zu einem der bedeutendsten Staaten Europas überhaupt erst möglich gemacht haben. FLORIAN SCHUI