: Wandel ohne Annäherung
AUSSENPOLITIK Die Freilassung verdankt sich Diplomatie und harten Worten. Der neue, alte Außenminister steht für leisere Töne
BERLIN taz | Sechs Tage ist der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Amt, doch der erste außenpolitische Erfolg geht noch auf das Konto der Vorgängerregierung. Die Freilassung Michail Chodorkowskis verdankt sich Verhandlungen des früheren Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP), die vom Kanzleramt unterstützt wurden.
Wie inzwischen bekannt wurde, bereitete Genscher die Begnadigung in zwei Geheimtreffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin vor. Ein erstes Treffen fand laut Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung m Juni 2012 auf dem Berliner Flughafen Tegel statt, ein zweites Anfang 2013 in Moskau.
Die Freilassung Chodorkowskis dürfte eine neue Debatte über den richtigen Kurs der deutschen Außenpolitik gegenüber Russland auslösen. Genscher vertraute zwar auf die Mittel der Geheimdiplomatie, die Verhandlungen fanden aber in einem Umfeld statt, in dem die internationale Kritik am Kurs Russlands lauter wurde. Zuletzt hatten sowohl Bundespräsident Joachim Gauck als auch Frankreichs Präsident François Hollande einen Besuch der Winterspiele in Sotschi ausgeschlossen. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte wiederholt deutliche Töne gegenüber Putin angeschlagen.
Frank-Walter Steinmeier galt dagegen in seiner ersten Amtszeit als Außenminister (2005–2009) als Verfechter einer vorsichtigen Diplomatie, einer Art Neuauflage der sozialdemokratischen Ostpolitik unter Egon Bahr in den 70er Jahren. Explizit prangerte Steinmeier eine Politik an, die einen „Teufelskreis aus Belehrung und Isolation des Gegenübers“ heraufbeschwöre. Nach den Koalitionsverhandlungen mit der Union zeigte sich der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich, erfreut, dass es „der Union nicht gelungen“ sei, „sich mit ihrer Verschärfung der Politik gegenüber Russland durchzusetzen“.
Bei seinem Arbeitsbeginn im Auswärtigen Amt am Dienstag vergangener Woche fand Steinmeier dann ungewöhnlich deutliche Töne: Es sei „empörend, wie die russische Politik die wirtschaftliche Notlage der Ukraine für sich genutzt“ habe, um den Assoziierungsvertrag mit der EU zu verhindern. Gleichzeitig streitet Steinmeier jedoch um das Amt des Russlandbeauftragten der Bundesregierung: Er will laut Spiegel den bisherigen Amtsinhaber Andreas Schockenhoff, einen Befürworter eines härteren Kurses gegenüber Putin, durch seinen Vertrauten Gernot Erler (SPD) ersetzen. MARTIN REEH