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Archiv-Artikel

Auch in Brasilien will VW Stellen streichen

Konzern schiebt Schuld auf Lohnniveau und Wechselkurs. Gewerkschaften protestieren: Der Branche gehe es gut

PORTO ALEGRE taz ■ Seit VW-Chef Bernd Pischetsrieder auf der Hauptversammlung des Konzerns Anfang Mai verkündete, dass in Brasilien „die Kapazitäten angepasst“ werden müssten, geht auch hierzulande die Angst in der Belegschaft um. „Unser Mutterhaus in Deutschland meint, dass wir hier eine Fabrik zu viel haben“, sagte VW-do-Brasil-Vorsitzender Hans-Christian Maergner. Um sie zu retten, seien Einschnitte nötig.

Bis 2008 soll über ein Viertel der 22.000 Arbeiter in drei der fünf Werken entlassen werden, wurde José Lopez Feijóo mitgeteilt, dem Vorsitzenden der größten Metallgewerkschaft. Berücksichtige man die Auswirkungen auf die Zulieferbetriebe, stünden nicht nur diese 5.773 direkten Arbeitsplätze auf dem Spiel, sondern 245.000.

Personalvorstand Josef-Fidelis Senn drohte bereits: Sollten die Gewerkschaften den von der Firmenleitung vorgelegten Restrukturierungsplan weiterhin ablehnen, könnte es in Curitiba und Taubaté bei São Paulo die ersten Kündigungen geben – ohne Abfindung. Im Stammwerk von São Bernardo do Campo, wo seit 1953 VWs vom Band rollen, läuft eine 2001 erstrittene Arbeitsplatzgarantie kommenden November aus. Bereits in den letzten drei Jahren baute VW do Brasil über 5.000 Stellen ab – auch weil man sich in der Kapazitätsplanung verschätzt hatte.

Wie schon beim letzten Arbeitskampf 2003 führt das Management auch jetzt volkswirtschaftliche Argumente an: Wegen gestiegener Rohstoffpreise und des überbewerteten Real sei der ausschließlich in Brasilien und vor allem für den Export hergestellte Fox derzeit ein Zuschussgeschäft. Wurden im letzten Jahr noch 256.000 Fahrzeuge ausgeführt, so sollen es 2008 nur noch 166.000 sein, sagte Personalvorstand Senn. Zudem lägen die Lohnkosten höher als bei der Konkurrenz.

Die Gewerkschaften halten dagegen, dass die brasilianische Autoindustrie boomt wie selten zuvor: Von Januar bis Mai wurden 1,08 Millionen Fahrzeuge produziert – mehr denn je. Die Exporterlöse lagen, wohl auch wegen der teuren brasilianischen Währung, um 9 Prozent über jenen des Vorjahrs. Der Binnenmarkt wächst. VW konnte hier seinen Marktanteil sogar von 21,6 auf 23 Prozent steigern.

Dennoch will die Firma über die Entlassungen hinaus den Rotstift an verschiedenen Stellen ansetzen: Für die Krankenversicherung soll den Arbeitern dreimal so viel abgezogen werden wie bisher. In den kommenden zwei Lohnrunden will die Firma nicht einmal mehr den vollen Inflationsausgleich garantieren. Zudem soll immer weniger Personal für Tätigkeiten in Gewerkschaft und Betriebsrat freigestellt werden. Mängel in der Produktion sollen durch unbezahlte Überstunden wettgemacht werden und neu eingestellte Arbeiter 35 Prozent weniger verdienen als die bisherigen.

Mit den letzten drei Punkten liege VW quer zur brasilianischen Gesetzgebung, meint Bundesrichter Marcus Orione. Es wäre nicht das erste Mal: Ihren Streik 2003 beendeten die VWler erst, nachdem ein örtliches Arbeitsgericht eine Lohnerhöhung angeordnet hatte.

GERHARD DILGER

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