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Archiv-Artikel

Der gute Mann vom Zürichberg

FIFA Sepp Blatter, der Fifa-Chef, lässt sich feiern in Südafrika. Staatsmännisch gibt er sich als Wohltäter. Die Kritik an ihm und den mafiösen Vorgängen im Verband blendet er aus. Stattdessen wünscht er sich den Friedensnobelpreis für die Fifa

Die Fifa-Herrschaft

■  Chef: Sepp Blatter ist der achte Präsident des Fußballverbands Fifa. Geboren 1936, studierte er VWL und spielte auch mal Fußball. In der schweizerischen Amateurliga. Seit 1975 ist er bei der Fifa, seit 1998 der Präsident.

■  Einnahmen: Weltmeisterschaften sind die Haupteinnahmequelle der Fifa. In Südafrika rechnet der Weltverband mit Einnahmen von 3,2 Milliarden US-Dollar, die hauptsächlich durch den Verkauf von Übertragungsrechten und durch Sponsoring erzielt werden.

■  Freistellung: Für eine WM bewerben kann sich nur, wer der Fifa zusichern kann, dass ihre Einnahmen nicht besteuert werden. Auch für die 2,2 Milliarden Euro, die die Fifa bei der WM in Deutschland erwirtschaftet hat, musste sie keine Umsatzsteuer entrichten.

■  Diktat: Die Sponsoren der Fifa stehen unter besonderem Schutz. Nur wer dafür zahlt, darf den Worldcup in seiner Werbung benutzen. In Südafrika steht auch die Zahl 2010 unter Markenschutz. Gegen 50.000 Zuwiderhandlungen sind Fifa-Anwälte bis jetzt eingeschritten.

■  Forderung: Die Fifa hat genaue Vorstellungen davon, wie ein WM-Stadion auszusehen hat. Verantwortlich für den Bau sind die Organisatoren. Erreichtet werden sie mit Steuermitteln – über 5 Milliarden Dollar.

■  Almosen: Nur die Einnahmen aus dem Ticketverkauf gehen an die WM-Organisatoren. 220 Millionen Dollar. Dazu zahlt die Fifa 202 Millionen Dollar Zuschuss. Gewinn macht das Organisationskomitee in Südafrika nicht. (taz)

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Wer unbedingt wissen will, wo Sepp Blatter dieser Tage gerade ist, der möge dessen Tweets folgen. Seit ein paar Tagen twittert der Präsident des Weltfußballverbandes. Stolz vermeldet die Fifa, dass schon 20.000 Menschen den Kurzmitteilungen ihres Chefs folgen, obwohl dieser oft gar nicht viel zu sagen hat. „At the Slovenia-USA match“, ist ein typischer Eintrag. Sinnlose Twitterei? Durchaus nicht. Sepp Blatter ist wichtig. Vor dem Spiel teilt er folgendes mit: „Meet and greet with Slovenia President Danilo Turk and Uefa President Michel Platini before the game.“ Präsidenten unter sich. Doch Sepp Blatter ist nicht nur Chef, er ist auch Mensch. „1966 musste ich meinen Wehrdienst ableisten. Jede freie Minute habe ich vor dem Fernseher verbracht um die WM in Schwarz-Weiß zu sehen“ Via Twitter arbeitet der Präsident der Féderation International des Football Associations an seinem Image. Er will Macht verkörpern – Macht mit menschlichem Antlitz. Mit seinem Antlitz.

In Südafrika wähnt sich Sepp Blatter auf dem Weg zum Liebling der Massen. Beinahe allgegenwärtig ist er. „This is Sepp Blatter.“ Wer ein Radioprogramm des öffentlichen Rundfunks SABC hört, der wird jede Stunde mit einem Presenter-Spot beglückt, in dem der Fifa-Chef dazu aufruft, die erste Fußballweltmeisterschaft in Afrika über die Programme des Senders zu verfolgen. „It is time! Ke nako!“ Immer wieder, den ganzen Tag über ist Blatters ein wenig unsicher wirkende Stimme zu hören, dieser eigentümliche Akzent eines Wallisers, der ausgezogen ist in die große Welt und Interviews in Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch gibt. Die Leserbriefredaktionen der Boulevardzeitungen drucken beinahe jeden Tag Leserbriefe ab, in dem sich der Absender beim Weltfußballchef für das Turnier bedankt. „Thank you for bringing the world to South Africa!“

Unvergessen ist auch sein Auftritt bei der Eröffnungsfeier in Sowetos Soccer City. Beinahe ehrfurchtsvoll lauschen ihm die Massen. „Here we are!“, sagt er und wartet auf seinen Applaus. Er kommt. „Here we are in Africa!“ Wieder brandet Applaus auf. „In South Africa!“ Als hätte er ein Tor für die südafrikanische Nationalmannschaft geschossen, jubeln jetzt die Massen. Sepp Blatter hat es geschafft, dass ihm die Menschen glauben, was er seit Jahren immer wieder sagt. Er, der große Präsident persönlich, habe dem Kontinent das größte Sportereignis der Welt beschert. Unten auf dem Rasen eines riesigen Stadions steht an jenem ersten Tag dieser Weltmeisterschaft ein nicht allzu großes, ein wenig rundliches Männchen, das ein wenig aussieht wie der Rentner von nebenan im Sonntagsstaat, und spürt, wie ihm die Herzen zufliegen.

Sepp Blatter ist schon lange der mächtigste Sportfunktionär der Welt. Mit der WM in Afrika, die er immer als seine persönliche Mission bezeichnet hat, strebt er die erste Heiligsprechung eines Sportfunktionärs durch die Öffentlichkeit an. Längst fühlt sich Blatter als Afrikaner ehrenhalber, als Segensbringer für einen ganzen Kontinent. „Leben ist Rhythmus und Rhythmus ist Leben. Ihr müsst wissen, Zürich liegt in der deutschsprachigen Schweiz, und das heißt: es ist öde, öde, öde. In Afrika habt ihr nicht nur Rhythmus, ihr habt auch Musik und vor allem die Fähigkeit zu träumen.“

Das hat der Schweizer, der seit 1998 an der Spitze der in Zürich beheimateten Fifa steht, gesagt, als er die Baustelle für das WM-Stadion in Kapstadt besucht hat. So gut ist das angekommen bei seinen afrikanischen Freunden, dass der Spruch auf eine Tafel für eine Ausstellung über den Stadionbau gebannt wurde. Blatter, der Freund Afrikas, darf viele Afrikaner seine Freunde nennen. Als solchen bezeichnet er auch Jacob Zuma, der den Fifa-Boss in der Woche vor Beginn der WM mit dem Order of the Companion of OR Tambo ausgezeichnet hat, einem der höchsten Orden des Landes, benannt nach Oliver Reginald Tambo, einem Antiapartheidsaktivisten, der mit Nelson Mandela zu den Gründern des African National Congress gehörte.

Bald werden sich Zuma und Blatter wieder begegnen. Am 7. Juli, am Tag des Halbfinales wollen sie gemeinsam den Startschuss geben für eine große Bildungsinitiative, die von der Fifa mitersonnen wurde. „1Goal“ nennt sich das Projekt. Ziel der Initiative: Bis zum Start der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien sollen alle Kinder dieser Erde eine Schulausbildung machen können. Sepp Blatter wird sich an diesem Tag nicht nur von den Fans feiern lassen können. Neben Zuma werden sich weitere politische Führer aus aller Welt zu dem Bildungsgipfel versammeln. Die Politik will sich in der Popularität des Fußballs baden und Sepp Blatter will sich die Anerkennung als das soziale Gewissen des Weltsports sichern. Manche wähnen ihn gar auf dem Weg zum Friedensnobelpreis. Darauf angesprochen, wehrt er nur indirekt ab. Ihm persönlich stehe eine derartige Auszeichnung nicht zu, hat er einmal gesagt, würde sie seinem Verband zuteil, sehe das schon ganz anders aus.

Sepp Blatter tut derzeit alles dafür, dass das soziale Etikett, das er seinem Verband angeheftet hat, von all der Kritik ablenkt, die es an seinem Verband, die es mittlerweile an der Organisation dieser WM und ganz allgemein seit Beginn seiner Präsidentschaft gibt. Dass in vielen Stadien oft jede Menge Plätze frei bleiben, obwohl es doch hieß, alle Tickets seien verkauft, dass die vom Organisationskomitee angeheuerten Sicherheitsfirmen ihre Mitarbeiter durch schlechte Bezahlung regelrecht in den Streik getrieben haben, dass Gewerkschafter versuchen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu nutzen, um auf ihre Belange aufmerksam zu machen, dazu schweigt der Präsident.

Er redet viel lieber über das Straßenfußballturnier „Football for Hope“, das Anfang Juli im Township Alexandra bei Johannesburg unter dem Dach der Fifa angepfiffen wird. 32 Teams, allesamt rekrutiert aus sozialen Brennpunkten, messen sich auf dem Kleinfeld. Blatter hat dem Fußball die soziale Dröhnung verordnet.

Im immer noch arg elenden Alexandra werden alle Teams in nagelneuen Trikots mit den drei Streifen auflaufen. Blatter sorgt dafür, dass sich auch Adidas, einer der größten Sponsoren der Fifa, als soziales Unternehmen präsentieren kann. Über das harte Fifa-Regiment, das die Sponsoren der WM unter den größtmöglichen Schutz stellt, und das auch in Südafrika von Kommentatoren schon als Fifa-Faschismus bezeichnet wird, sagt er nichts. Zeitungen berichten, dass Anwälte des Weltverbandes bereits 50.000 Hersteller oder Händler abgemahnt hätten, die sich nicht an die teilweise absurden Marketingvorschriften gehalten hätten. Die verbieten es sogar, mit der Zahl 2010 zu werben.

Unter Blatters Ägide ist das Weltturnier derart gewachsen, dass sich die Länder, die sich stolz als Ausrichternation präsentieren wollen, regelrecht verkaufen. So muss der Verband in Südafrika, so wie vor vier Jahren in Deutschland, keine Steuern auf die von ihm erwirtschafteten Milliardenbeträge zahlen. Und auch in der Schweiz, wo der Verband in einem nagelneuen Prachtbau auf dem Zürichberg seinen Sitz hat, geht der Fiskus so gut wie leer aus. Die Fifa ist eine gemeinnütziger Verein.

Und da ist es wieder das Gute in der Fifa, das Blatter immer wieder herausstreicht. Der Verband sieht sich als Entwicklungshelfer. Schon seit Jahrzehnten gibt es das Programm „Goal“, das den Fußballsport in der Welt weiterbringen soll. Über 180 Millionen Franken werden ausgeschüttet. Gerade die kleinsten Verbände profitieren davon.

2005 sind die Komoren als Nationalverband in die Fifa aufgenommen worden. Im März diesen Jahres besuchte Sepp Blatter die Inselrepublik und begutachtete das von der Fifa mit 120.000 Euro mitfinanzierte neue Stadion mit Kunstrasen und den neuen Verwaltungsbau des Verbandes. Wie ein Staatsgast wurde Blatter empfangen. Staatsmännisch war auch Blatters Stellungnahme zu Visite: „Ich bin überwältigt von der Art und Weise, wie ich als erster Präsident der Fifa überhaupt, der den Komoren einen Besuch abstattet, in diesem Land empfangen werde. Gleichzeitig ist es auch für die Fifa eine Ehre, die Komoren zu ihren Mitgliedern zählen zu können.“ Dann ging es ab zum Staatspräsidenten – Bankett. Zig Stadien und etliche Verwaltungsbauten hat die Fifa über die Jahre gefördert, auch solche, die nie errichtet wurden. Blatters Entwicklungsprogramm ist als Schmiergeldverteilungsmaschine verschrien.

Für den Schweizer mit dem sonnigen Gemüt ist all das kein Thema in diesen Tagen. Er strahlt sich als der gute Mann vom Zürichberg durch das Turnier in Südafrika. Und er will weiter strahlen. Auf dem Fifa-Kongress unmittelbar vor dem Turnier in Johannesburg hat der 74-Jährige angekündigt, 2011, wenn die turnusmäßige Wahl zum Fifa-Präsidenten ansteht, für weitere vier Jahre kandidieren zu wollen. Es wäre seine vierte Amtszeit. Er braucht dafür die Zustimmung der Mehrheit der Delegierten aus den 208 Mitgliedsverbänden der Fifa. Das Goal-Programm ist da ganz nützlich.

Eine Bank sind seit seiner ersten Wahl ohnedies die afrikanischen Delegierten. 1998 konnte Blatter schon auf sie setzen, weil er ihnen versprochen hat, das WM-Turnier nach Afrika zu bringen. Schmiergeldzahlungen an Delegierte sollen ihr Übriges getan haben. Das sollte schon 2006 der Fall sein. In der Abstimmung setzte sich indes Deutschland durch, woraufhin Blatter eine sogenannte Kontinentalrotation für die Weltturniere eingeführt hat. Die Kontinentalverbände sollten im Wechsel die Weltmeisterschaften ausrichten. Nachdem Südafrika den Zuschlag erhalten hat, wurde die Rotation wieder abgeschafft. Blatters Versprechen an die Afrikaner war ja inzwischen umgesetzt.

Für seine Wiederwahl sprechen auch die Bilanzen der Fifa. Die präsentierte Blatter beim Kongress in Johannesburg voller Stolz. „Seid ihr jetzt nicht alle glücklich? Das sind wunderbare Zahlen“, sagte er zu den Delegierten. Mitten in Krisenzeiten konnte die Fifa beim Eigenkapital die Milliarden-Dollar-Grenze durchbrechen (1,061 Milliarden US-Dollar). Um die Mitgliedsverbände dankbar zu stimmen, zahlt die Fifa in diesem Jahr erstmals so etwas wie eine Dividende. Alle Mitglieder sollen jeweils 250.000 Dollar von der Fifa erhalten. Die Kontinentalverbände jeweils 2,5 Millionen. Sepp Blatter ist im Wahlkampf. Und er hat weiter kräftiges Wachstum versprochen. Die WM in Südafrika hat sich jetzt schon gelohnt. Allein für den Verkauf der TV-Rechte hat die Fifa 1,6 Milliarden Euro kassiert.

Dass die von der Fifa für die Ticketvermarktung engagierte Agentur Match Miese macht, weil viel weniger teure Hospitality-Tickets abgesetzt werden konnten als geplant, fällt da nicht weiter ins Gewicht. Franz Beckenbauer, der für Deutschland in der Fifa-Exekutive sitzt, ist sich sicher: „Match geht es finanziell nicht gut, aber die Fifa wird Match nicht hängen lassen.“ Davon kann getrost ausgegangen werden.

Denn Match ist für Blatter eine Familienangelegenheit. Sein Neffe Philippe Blatter ist Miteigentümer der Agentur und nicht wenige sind der Meinung, dass es alles andere als ein Zufall ist, dass ausgerechnet er am Fifa-Geschäft beteiligt wird. Und statt zu überprüfen, wie es dazu kommen konnte, dass Match derart überteuerte Ticket- und Reisepakete zur WM angeboten hat, wird der Schaden von der Fifa heimlich, still und leise beglichen.

Derartige Geschichten, die nicht nur nach Korruption riechen, begleiten Blatters Wirken in der Fifa von Anfang an. Legendär sind die Schmiergeldzahlungen, die die mittlerweile insolvente Rechtevermarktungsagentur ISL an Blatters Verband gezahlt hat. Anrüchig sind zudem Bonuszahlungen, die sich der Fifa-Präsident für seine Arbeit selbst hat anweisen lassen. Auch die enge Verbundenheit mit Jack Warner, dem Fifa-Vizepräsidenten und Chef des Kontinentalverbands für Mittel und Nordamerika (Concacaf) aus Trinidad und Tobago, ist allenfalls als mafiös zu bezeichnen. Warner hat viel Geld damit verdient, indem er Tickets, die ihm die Fifa zur Verfügung gestellt hat, über ein eigenes Reisebüro verkauft hat. Für Blatter ist das kein Problem.

Auf derartige Verstrickungen angesprochen, antwortet der gebürtige Walliser stets derart: „Wenn wir Probleme haben in der Familie, dann lösen wir die Probleme in der Familie und gehen nicht zu einer fremden Familie.“ Wer mehr darüber wissen möchte, wie eine Firma wie die Fifa funktioniert, der besorge sich eine DVD-Box der Mafiasaga „Die Sopranos“.

Eine Folge, in der einem Soprano der Friedensnobelpreis verliehen wird, gibt es übrigens nicht.