: „Gabentausch kann das Herz erheben“
KONSUM Der Kulturwissenschaftler Kaspar Maase über Glücksgefühle und materielle Absurditäten
■ Jahrgang 1946, ist Gastprofessor am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien und Autor des Buchs „Die Kinder der Massenkultur. Kontroversen um Schmutz und Schund seit dem Kaiserreich“.
VON JAN FEDDERSEN
taz: Herr Maase, war die Kritik der aufgeklärten Stände, gerade zu Weihnachten, an den Konsumgewohnheiten der ,niederen Stände‘ schon immer vorhanden?
Kaspar Maase: Ja, absolut! Kritik am vermeintlich übertriebenen und schädlichen Genuss ist beste abendländische Tradition überhaupt. Die Schule der Hedonisten hatte schon in der griechischen Philosophie eher schlechte Karten. Und seit dem 17. Jahrhundert mussten sich Arbeiter und Arbeiterinnen anhören, dass sie ihr Geld für Überflüssiges vergeudeten: Halstücher und Hüte, Uhren und Alkohol. Zur breiten Allianz dieser Kritiker zählten Pfarrer und Unternehmer, „Arbeiterfreunde“ und Ökonomen.
Ist die Konsumkritik, wie sie momentan gerade aus den mittelschichtig-grünen Milieus geäußert wird, neu?
Die Verweise auf beschränkte Ressourcen, auf den im Weltmaßstab extrem hohen Lebensstandard der meisten Deutschen und auf die Absurditäten der Wachstumsphilosophie sind jedoch ernst zu nehmen.
Wobei jene, die Wasser predigen, gern guten Wein trinken, nicht wahr?
Sagen wir es so: Im Kampf gegen falschen Konsum um die Welt jettend, fallen die CO2-Fußspuren der prominenten Mahner meist deutlich tiefer aus als die der Kritisierten.
Nun, aber ökologischer Forschung zufolge kann, ja darf die nichtwestliche Welt die gleichen Konsumsehnsüchte nicht haben.
Okay, dann schwinge ich mich mal kurz zum Globalkommentator auf. Was und wie jene Milliarden Menschen konsumieren, die nach der westlichen Übernutzung der Welt endlich mitzureden haben, sollten wir nicht länger vorzugeben suchen. Und anderer Leute Sehnsüchte sind schon gar kein Thema. Da stehen langwierige und konfliktreiche Aushandlungsprozesse auf vielen Ebenen an; in dem Zusammenhang bemühe ich mich, eher mal die Klappe zu halten und zu akzeptieren, dass die Vielen nicht unbedingt schlechtere Entscheidungen treffen als die europäischen Wissenseliten.
Gibt es Ihrem Befund nach ein Limit, von dem an Konsum nicht mehr befriedigen kann?
Nein, das macht ja für den oder die NormalverbraucherIn das Problem aus. In John Lanchesters Roman „Kapital“ treffen wir einen Banker, dessen Welt zusammenbricht, als er den erwarteten und im Grunde schon ausgegebenen Millionenbonus nicht erhält. Das Ehepaar gibt eine Million jährlich so aus, dass man nachvollziehen kann, was sie eigentlich alles noch gerne hätten.
Die Skala weiterer Befriedigungen ist nach oben offen?
Das fünfte Auto und die sechste Ferienwohnung machen keinen Unterschied mehr. Auch vom teuersten Burgunder kann man nicht mehr als zwei Flaschen täglich trinken, zumindest nicht lange. Aber der Befriedigung, einfach noch mehr zu konsumieren als andere, der ist anscheinend leider keine Grenze gesetzt.
Ist der starke Konsum gerade der ,niederen Schichten‘ ein manipuliertes Ding oder charakterisieren sie aus deren Sicht ebenso eine Freude an Dingen, ob schön oder nützlich?
Wer gehört zu den ,niederen Schichten‘? Es gibt nicht wenige in diesem Lande, die uns beide auch dort einsortieren würden. Und ob der Konsum im Hartz-IV-Bereich wirklich „stark“ genannt werden kann, da zweifle ich. Gerade vor dem großen Fest des Schenkens ist mir der Hinweis wichtig, dass wir da ja weitgehend sozialen Konventionen und Erwartungen folgen. Und wir tun gut daran – weil der Gabentausch, auch der materielle, eine der Kommunikationsformen ist, die unser persönliches wie familiales Beziehungsnetz immer wieder stärkt und bestätigt. Das kann, über die Pflichterfüllung hinaus, auch das Herz erheben – solange es Menschen gibt, an deren Freude wir uns erfreuen.
Wo beginnt Schund, wo das Kostbare?
Da kann ich nur sarkastisch antworten: Schund beginnt da, wo jemand einen anderen Geschmack hat als der Urteilende; und kostbar wird es, wo meine Wünsche an meine finanziellen Grenzen stoßen.
Orientieren Sie Ihren eigenen Konsum am Beispiel von Geschenken an dem, was gut, schön und öko ist?
Ich bin kein großer Schenker. Ich versuche allerdings, niemand mit Gaben erziehen oder ändern zu wollen. Bei der Auswahl orientiere ich mich oft daran, was mir gefällt. Wenn ich mich bemühe, den Geschmack der anderen zu treffen, ist das Risiko, daneben zu liegen, nach meiner Erfahrung auch nicht kleiner. Dann doch gleich etwas, was mir selbst Freude bereitet.
Können Sie die Freude, etwa bei einem kleinen Mädchen, über eine pinke Barbiepuppe, verstehen?
Als Kulturwissenschaftler wird man zurückhaltend mit der Behauptung, man verstehe etwas, schon gar den fremden Geschmack anderer Menschen. Aber wer als Erwachsener die Freude eines Jungen an Ken im Rennfahrerdress glaubt herabsetzen zu dürfen, hat etwas Zentrales nicht verstanden: Respekt.
Was halten Sie von Bescheidenheit im Konsum?
Ich kann ihr einfach nichts abgewinnen. Wenn aber Menschen beschließen, deutlich weniger zu kaufen und zu verbrauchen, als es ihnen finanziell möglich wäre, dann hat das meine uneingeschränkte Anerkennung.
Darf man, wenn man Bilder aus Bethlehem imaginiert, überhaupt Dinge schenken? Ist eine materielle Bescherung da nicht allzu opulent?
Tut mir leid, dazu habe ich als Atheist noch nicht einmal eine Meinung. Das machen die Christen friedlich untereinander aus, hoffe ich.
Könnte eine Feier wie Weihnachten säkular gedacht und ausgerichtet werden?
Die Frage verstehe ich nicht: Genau das haben wir doch bei uns im Westen! Die Diagnose, dass die heilsgeschichtliche Bedeutung der Geburt des Erlösers für die meisten, auch wohl für die Mehrheit der Kirchensteuerzahler, keine oder nur noch eine vage Rolle spielt, ist in meinen Augen absolut unwiderlegbar. Ob ein Jahresendfest auch etwas weniger konsumzentriert aussehen könnte, ob dabei Religiosität oder Spiritualität wirklich helfen könnten und was die kulturellen Kosten dafür wären, das zu beantworten, das liegt jenseits meiner Kompetenz.
Wäre ein Verzicht auf die Feierei nicht auch ein Zeichen gegen die Eventkultur?
Oh, gleich zwei Superschlagwörter in einem Satz, verknüpft durch den – verzeihen Sie – moralisierenden Anspruch, Zeichen zu setzen: Das ist too much! Aus Trotz eine Riposte auf gleichem Niveau: Eine Gesellschaft ohne Feiern und ohne herausgehobene, gemeinsam erlebte Ereignisse ist mir als Kulturwissenschaftler nicht bekannt und auch nicht vorstellbar.
■ Jan Feddersen, 56, verbringt Heiligabend familiär. Und fährt dann mit Mann nach Schweden.