Das Goldnugget im Dekolleté

ALTER Alle dachten, Onkel Alfred würde als tapferer Witwer sterben. Doch der fast Neunzigjährige bleibt fit und hat sich neu verliebt – und feiert mit seiner dritten Frau das Leben. Auch um seine Erben zu ärgern

VON NINA APIN

In meiner Familie nennt man ihn liebevoll den „Fuchs“. Wohl des listigen Lächelns wegen, das Onkel Alfred stets zu seinen buschigen Augenbrauen im schmalen Gesicht trägt. Seit seiner Pensionierung gab sich der einstige Mitarbeiter des Münchner Olympiaparks ganz dem Bestellen von Haus und Garten hin. Gemeinsam mit meiner Tante Sigrun, einer ehemaligen Sozialamtsangestellten, züchtete er Rosen und bewanderte sämtliche Berge von Oberbayern bis Südtirol.

So innig, so verschmolzen schienen die beiden Eheleute, die kinderlos geblieben waren, dass es kaum einen wunderte, dass Onkel Alfred nach der Krebserkrankung meiner Tante das Haus verkaufte, um fortan bei seiner Frau im Pflegeheim zu leben. Er kämpfte wie ein Löwe für ihre Belange, legte sich mit Pflegepersonal und Ärzten an, bis er die richtigen Therapien, die richtigen Medikamente, die richtigen Besuchszeiten und Essensmenüs für sie erwirkt hatte.

Seine aufopferungsvolle Pflege rührte uns alle. „Einen Lebenspartner wie dich kann sich nur jeder wünschen“ – meine Mutter sprach auf der Beerdigung von Tante Sigrun aus, was sich alle Anwesenden dachten. Jetzt, da Onkel Alfreds Mission beendet schien, kümmerten sich seine Töchter aus erster Ehe liebevoll um den alten Mann. Er sollte den schmerzlichen Verlust überwinden – insgeheim aber gingen alle davon aus, dass er das Ende seiner langjährigen Ehe nicht lange überleben werde.

Die Sache war nur: Onkel Alfred trauerte zwar. Aber er war bei bester Gesundheit und fühlte sich mit seinen 82 Jahren keineswegs lebensmüde. Im Gegenteil: Dem Seniorenheim blieb er immer öfter fern. Unternahm lieber Kreuzfahrten und eine Silvesterreise nach London, von wo aus er eine Karte schrieb: Tolle Stadt, rauschendes Fest, aber leider keine passablen Frauen in Sicht.

Als Onkel Alfred ganz aufgekratzt anrief und von Marianne erzählte, waren wir noch erstaunt. Auf einer Schiffsreise hatte er die zehn Jahre jüngere Kielerin kennengelernt und sich unsterblich verliebt. Marianne war gut situiert verwitwet, eine aparte Erscheinung mit Vorliebe für gesellschaftliche Auftritte. Man reiste, ging in die Oper – bald tauschte Alfred das Zimmer im Heim gegen eine großzügige Zweizimmerwohnung.

Der Ärger ging aber richtig los, als Marianne und Alfred – das war vor fünf Jahren – im Familienkreis ihre Hochzeitspläne ankündigten. Seine Kinder schickten dem Vater statt einer Gratulationskarte Post vom Betreuungsgericht: Sie wollten ihn für unzurechnungsfähig erklären. Die Frau, hieß es, habe es nur auf sein Geld abgesehen, daher sei es die Pflicht der Kinder, Alfred vor Verlust seines Vermögens (und ihres Erbes) zu schützen. Mein Onkel war tief getroffen. Ich erinnere mich noch an den achtseitigen Brief, den er meinen Eltern schrieb. Man sah noch Spuren von getrockneten Tränen auf dem Papier.

Aber der alte Fuchs reagierte auch geistesgegenwärtig: Er holte sich umgehend einen Anwalt, der ihm volle geistige und körperliche Gesundheit bestätigte, brach den Kontakt zu seinen Kindern ab und heiratete Marianne. Seitdem sind sie auf Achse. Unternehmen sündteure Kreuzfahrten, lassen sich neu einkleiden, gehen in den vornehmsten Lokalen essen und ziehen immer wieder um – zu unserer Verwunderung immer weiter gen Norden, in Mariannes Heimat. „Die Berge habe ich mit Sigrun genossen, jetzt schlage ich ein neues Kapitel auf“, antwortete der einst glühende Oberbayer einmal.

Dann schickte er uns eine Porträtstudie von Marianne mit einem Goldnugget um den Hals, das er ihr eigens anfertigen ließ. Im Begleitbrief schwärmte der frisch gebackene Ehemann vom reizvollen Kontrast, den Mariannes gebräuntes Dekolleté mit dem kühlen Metall bilde – und beschrieb, wie sehr er es genoss, seine Frau mit fremden Schiffskapitäten flirten zu sehen. Meine Mutter mokierte sich über das erotisierte Geplänkel, das ihr wohl nicht altersgemäß schien. Ich aber fand es toll.

Mein Onkel Alfred wird in wenigen Wochen 90 Jahre alt. Hoffentlich bleibt ihm und Marianne noch viel Zeit dafür, den Glamour des Alters auszukosten – und das Pflichterbe der Nachkommenschaft bis auf den letzten Cent zu verprassen.

Nina Apin, 39, wünscht sich, auch mit über 80 von ihrem Sebastian mit Dekolletéschmuck bedacht zu werden. Beider Nachwuchs sollte sich auf wenig Erbe einstellen