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Archiv-Artikel

Zwischen Rügen und Belügen

DDR Das Verhältnis der Linkspartei zur DDR ist verschwiemelt. Ein Bekenntnis zur Demokratie würde Wege öffnen – in die Vergangenheit wie in die Zukunft

Ambros Waibel

■  geboren 1968 in München, ist Meinungsredakteur der taz. Ende der 1980er-Jahre erkundete er die DDR per Fahrrad und mochte Land und Leute – er konnte ja auch wieder weg.

Ein kleines Potpourri aus der deutschen Geschichtswerkstatt der letzten Tage: „Schäbig und beschämend“ seien sie, die Aussagen von Luc Jochimsen, der Präsidentschaftskandidatin der Linken, die DDR sei „nach juristischer Definition“ kein Unrechtsstaat gewesen. Das fand Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse.

Gesine Schwan zog bei ihrer Gedenkrede im Bundestag anlässlich des Arbeiteraufstands am 17. Juni 1953 die folgende Parallele: Wenn die durch die Milliarden für die Bankenrettung ausgebluteten deutschen Kommunalhaushalte ihren Aufgaben gegenüber den Schwächeren der Gesellschaft nicht mehr nachkommen könnten, dann sei das „eine Normenerhöhung besonderer Art“. An den erhöhten Arbeitsnormen hatte sich die Revolte in der DDR entzündet. Abgeordnete der FDP verließen daraufhin den Saal.

Die neue deutsche Geschichtswerkstatt hat sich schon so weit in selbst der „Linken“ durchaus freundlich gesinnte Gemüter hineingearbeitet, dass eine harmlose Aussage Wolfgang Zimmermanns, Vorsitzender der linken Landtagsfraktion in NRW, merkwürdige Assoziationen auslöst. Zimmermann sagte in der taz vom Samstag, das Verhalten seiner Partei zur rot-grünen Minderheitsregierung in Düsseldorf werde davon abhängen, „ob es ihnen um einen wirklichen Politikwechsel geht – oder nur um einen Austausch von Personen“.

Was immer in der DDR recht oder unrecht war: Ein schlichter, demokratischer Austausch von Personen war jedenfalls nicht drin. Wofür der Westler und WASG-Mitbegründer Zimmermann nun wirklich nichts kann.

Historische Tragödie

Man muss kein Mitleid mit einem politischen Lager haben, dem es seit zwanzig Jahren nicht gelingt, seine offene Flanke zu schließen. Dass SPD und Grüne in NRW vor allem deswegen nicht mit der „Linken“ koalieren wollten, weil sie Angst vor dem Kampagnenjournalismus des marktbeherrschenden WAZ-Konzerns hatten – geschenkt. Aber wie konnten sie damit durchkommen? Hängt wirklich alles an der Formulierung „Unrechtsstaat“?

Die Linke muss diese Formulierung nicht unbedingt aufgreifen. Sie muss allerdings klarstellen, dass die DDR eine historische Tragödie war; dass ihr kulturelles Erbe bedeutsam für die ganze Kulturnation ist; und dass es sich schließlich bei der Deutschen Demokratischen Republik, eben weil sie nicht demokratisch war, um einen Scheißstaat gehandelt hat. Durch Wahlen in die Wüste geschickte Personen sind keine Formalie der Demokratie. Diese Möglichkeit ist existenziell, weil ohne sie die Verantwortung des Individuums geleugnet wird und alles auf Strukturen delegiert werden kann. Ohne Demokratie ist alles nichts. Das gilt immer und global, von Afghanistan über Honduras bis Venezuela. Und ohne sie nutzen auch die schönsten sozialen und kulturellen Errungenschaften der DDR wenig.

Amoralischer Antikommunismus

Soziale, gar kulturelle Errungenschaften – gab es die denn? Oh ja. Niemand wird sagen, „Faust“ zu lesen lohne nicht, weil das Herzogtum Weimar kein demokratischer Rechtsstaat, ja ein veritabler „Unrechtsstaat“ war, in dem der Staatsfunktionär Goethe das Todesurteil für eine arme „Kindsmörderin“ unterschrieb. Heiner Müller, Peter Hacks und Christoph Hein bleiben – natürlich nicht als Ikonen. Der Film „Ich war 19“ von Konrad Wolf bleibt – man kann sogar darüber diskutieren, ob etwas vom Werk Christa Wolfs zukünftige Generationen interessieren wird.

Und es bleibt die Tatsache, dass fast für die gesamte, ins Exil gegangene deutsche intellektuelle Elite ein Leben in der von Altnazis und amoralischem Antikommunismus durchsetzten jungen Bundesrepublik undenkbar war.

Womit wir bei der Tragödie sind: Auch die deutschen Intellektuellen hatten ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie. Brecht schrieb lieber mal wütende, mal unterwürfige Eingaben, als schlicht zu fordern, dass sich die ostdeutschen Regierenden regelmäßig dem Votum des Volkes zu stellen hätten – ein Volk allerdings, dass in seiner Mehrheit sich gerade zum willigen Vollstrecker der Nazis gemacht hatte.

Über die DDR muss gesprochen werden, aber jenseits von Kampfbegriffen wie „Unrechtsstaat“

Die DDR, wie der gesamte Reale Sozialismus, war eine Erstarrungsform, nicht ein Gefäß, in dem sich etwas Neues entwickeln konnte. Sie taugt nicht als Absprungsort – auch nicht für Linke, die im bundesdeutschen Grundgesetz keinen Grenzzaun, sondern die Basis ihres politischen Denkens sehen. Trotzdem muss natürlich über die DDR gesprochen werden, jenseits politischer Kampfbegriffe wie „Unrechtsstaat“. Aber wie?

Für ein „volles Ja“

Der Dichter Johannes Bobrowski (1917–1965), ein Christ, der in der DDR lebte, aber sich zeit seines kurzen Lebens als „deutscher Schriftsteller“ verstand, hat Tragödie, Verbrechen und kulturelles Erbe der Deutschen im Osten jenseits von Oder und Weichsel zum Thema seines Werkes gemacht. Er hatte sich das nicht ausgesucht, es war ihm aber auch nicht nur qua Geburtsort Tilsit mitgegeben: Bobrowski war als Soldat der verbrecherischen Wehrmacht auch Täter. Entscheidende Voraussetzung für sein Werk, heißt es im 1990er-Nachwort zu einer Sammlung seiner Gedichte, „war das volle Ja zum schuldhaften Verlust der einstigen Heimatwelt; nur so konnte von ihr allenfalls auf verantwortbare Weise geredet und das Tabu schrittweise überwunden werden“. Es war so – und es ist vorbei, so könnte man Bobrowskis Schaffen umreißen. „Wir hatten Rügen und Belügen“, brachte der 1970 in der Oberlausitz geborene Lyriker Tom Schulz die Sache auf seinen Punkt. Was bleibt? Das bleibt.

Wenn die Linkspartei tatsächlich ihre hochaktuellen Themen auf die Regierungsbänke tragen will, so muss sie dieses „volle Ja“ aussprechen. Die Stimmen von Nostalgikern und Frustrierten, die sie vielleicht sogar mehr im Westen als im Osten der Republik dadurch verliert, wird sie verschmerzen können. Dann wird sich der Diskurs über die Wirklichkeit der Deutschen Demokratische Republik schrittweise entspannen. Und dann muss „Die Linke“ auch keine verschwiemelte Angst mehr haben vor dem Bundespräsidentschaftskandidaten Joachim Gauck – oder vor den Angstbeißern bei den Grünen und bei der SPD.AMBROS WAIBEL