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Archiv-Artikel

„Mir geht es um Menschenrechte“

MUT Ein Student der Hochschule der Arbeitsagentur kritisiert seinen Ausbilder: Die Sanktionen gegen Erwerbslose sind oft falsch. Nun muss er fürchten, von der Schule geworfen zu werden

Marcel Kallwass

■ 22, ist Student an der Hochschule der Bundesanstalt für Arbeit in Mannheim. Nachdem er auf seinem Blog das Arbeitsamt kritisierte, wurde er gemaßregelt.

taz: Herr Kallwass, als Student an der Hochschule der Bundesanstalt für Arbeit haben Sie mehrfach die Bundesarbeitsagentur kritisiert. Warum?

Marcel Kallwass: Ich habe im Jobcenter Ulm hospitiert. Dort habe ich mitbekommen, wie Erwerbslose sanktioniert wurden. Das kann nicht der richtige Weg sein. Ich habe in der Hochschule Diskussionen über die Sanktionen angeregt. Dabei musste ich mit Erschrecken feststellen, dass viele meiner Kommilitonen Sanktionen befürworten.

Bekamen Sie Unterstützung?

Einige Studierende wurden durch meine Argumente zum Nachdenken angeregt. Sie erklären, dass sie jetzt die Sanktionen kritischer sehen. Allerdings war vielen meine Totalablehnung von Sanktionen zu radikal.

Warum haben Sie Ihre Kritik öffentlich gemacht, beispielsweise auf Ihrem Blog?

Nach den Diskussionen in der Hochschule habe ich gemerkt, dass ich an eine Grenze stoße. Also begann ich vor fünf Monaten, meine Argumente auf dem Blog „Kritischer Kommilitone“ zu veröffentlichen. Damit wollte ich meine Solidarität mit der Hamburger Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann ausdrücken, die wegen ihrer Kritik am Hartz-IV-System vom Dienst suspendiert wurde.

Bekamen Sie auch Druck?

Im Juni hatte ich den Blog eröffnet, Anfang August wurde ich vom Leiter der Hochschule zu einem ersten Gespräch eingeladen. Das war noch moderat. Nachdem ich einen offenen Brief an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht hatte, in dem ich Vorschläge für eine Berufsberatung ohne Sanktionen machte, drohte mir die Regionaldirektion von Baden-Württemberg in Stuttgart erstmals mit einer Abmahnung. Nachdem ich auch in der Hochschule mit Flugblättern meine Kritik fortsetzte, habe ich Anfang November die erste und wenige Wochen später die zweite Abmahnung erhalten.

Gefährden Sie Ihre Karriere?

Nach intensiven Gesprächen mit meinen Eltern und FreundInnen habe ich mich entschieden, den Blog weiter zu betreiben. Ich weiß, dass das dazu führen kann, mein Studium abbrechen zu müssen. Das Risiko gehe ich ein, mir geht es um Menschenrechte.

Könnten Sie als kritischer Berufsberater nicht mehr gegen die Sanktionen tun?

Nein, ich wäre dann ein Rädchen in der Maschinerie. Auch wenn ich von der Schule geschmissen würde, wird mich die Bundesanstalt für Arbeit nicht los. Ich wäre dann selber arbeitslos und würde mich weiter gegen Hartz IV engagieren.

INTERVIEW: PETER NOWAK