: Der Qualm zieht ab. Zug um Zug
Immer mehr SpitzenpolitikerInnen wollen das Rauchen in öffentlichen Räumen verbieten. Jetzt ist sogar die Bundeskanzlerin dafür
AUS BERLIN GEORG LÖWISCH
Gestern Mittag konnte die Koalition der Rauchverbieter ein prominentes Mitglied begrüßen. „Die Bundeskanzlerin“, verkündete ihr Regierungssprecher, „ist persönlich seit langem aufgeschlossen für Fragen des Nichtraucherschutzes, auch für eine Verbesserung des Nichtraucherschutzes.“ Mit den Zuständigkeiten sei das nicht einfach, aber das Anliegen des Ministers Horst Seehofer, dasRauchen in öffentlichen Räumen zu verbieten, das teile Angela Merkel.
Der Segen der Kanzlerin ist der Höhepunkt einer neuen politischen Kampagne gegen das Rauchen, die im Frühjahr begonnen und sich seitdem zu einer Art Selbstläuferin entwickelt hat. Ihr Anfangspunkt ist nicht mit letzter Sicherheit auszumachen, aber er könnte am 20. Februar in Heidelberg liegen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum hatte damals Politiker eingeladen, und der Heidelberger SPD-Bundestagsabgeordnete Lothar Binding, 56, war gekommen. Binding hat nichts gegen Qualm, er sagt, dass er sogar gern ein bisschen Tabak riecht, und früher hat er selber stark geraucht. Während der Lehre als Starkstromelektriker fing er mit HB an, es wurde RothHändle draus, erst nach zwölf Jahren war Schluss. Eigentlich ist Binding Finanzpolitiker, da hatte er nur am Rande von der Selbstverpflichtung der Gaststätten gehört, die zugesagt haben, bis März 2008 in fast allen Restaurants 50 Prozent der Plätze zu Nichtraucherplätzen zu machen. „Ich hielt das für eine gute Idee“, sagt Binding. Aber an diesem 20. Februar wurde er bekehrt.
Die Krebsforscher legten eine Studie vor, laut der genügend Gifte von den Raucher- zu den Nichtraucherplätzen ziehen, um die Gesundheit zu gefährden. Wenn sich Stoffe auf Möbeln absetzen, könnten sie noch krank machen, wenn man sie nicht mehr riecht.
Binding hat einen Antrag getippt, der die Bundesregierung auffordert, ein Gesetz zu erarbeiten, das Rauchen in öffentlichen Einrichtungen verbietet: Ämter, Nahverkehrszüge, Kneipen. Bei der SPD haben gleich 50 Kollegen unterschrieben, und in der Fraktion haben sie gesagt: Wir müssen das mit der Union abstimmen. Weil das Rauchverbot so ein Aufregerthema ist, riefen Binding die Reporter an: Bild, Phoenix, dpa. Inzwischen meldeten sich Grüne und Linkspartei und sagten: Der Binding kann mit uns rechnen. Nur ein einsamer FDPler wetterte gegen die Regelungswut.
Letzte Woche stieg Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff in den Nichtraucherzug ein, am Wochenende kamen seine Kollegen aus Sachsen und Sachsen-Anhalt und mit Seehofer erstmals ein Bundesminister dazu: „Rauchen macht krank“, schimpfte er, in öffentlichen Einrichtungen dürfe nicht gequalmt werden, Tabakwerbung gehöre eingeschränkt. „Über 140.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland an den Folgen – meistens durch Krebs.“
Der Kanzlerin stimmte gestern auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zu. Sie sei für den Nichtraucherschutz, jetzt sei aber das Parlament am Zug. Das Parlament ist in dem Fall wohl Binding. Er will den „verfeinerten“ Antrag nun allen Abgeordneten schicken, um genug Unterschriften sorgt er sich nicht. Nur: Der Antrag wird die Regierung auffordern, tätig zu werden. Ein Gesetz gibt es dann noch nicht. Die Linkspartei-Abgeordnete und Chefin des Gesundheitsausschusses, Martina Bunge, fragte gestern, „warum der Herr Seehofer nicht gleich an die Arbeit geht“. Sie spottet, Merkel und Seehofer hätten noch viel Arbeit vor sich: Bei einem Antiqualmvorstoß 1998 hätten 74 Prozent der Christdemokraten Nein gesagt – und 82 Prozent der CSU-Leute.
Hinzu kommt das Zuständigkeitsproblem: Gesundheitsschutz ist erst mal Ländersache. Der Bund ist allerdings für Arbeitsschutz, Maßnahmen gegen den Verkehr von Giften und die Luftreinhaltung zuständig. Das Gaststättenrecht wiederum gibt der Bund mit der Föderalismusreform gerade an die Länder ab.
Binding, wen wundert’s, ist zuversichtlich. Ein Bundesgesetz würde vorgehen. „Es ist kein sehr kompliziertes Gesetz“, sagt er. „Wenn’s nach mir geht und alles in der Koalition abgestimmt ist, tritt das zum 1. 1. 2007 in Kraft.“