: Feiern im Untergrund
KULTUR Fast das ganze Jahr war die U6 unterbrochen, der U-Bahnhof Französische Straße Endstation. In sechs Jahren wird er ganz geschlossen. Ein Student will dort dann ein Veranstaltungszentrum eröffnen – und den Bahnhof so für die Öffentlichkeit erhalten
■ Mehr als ein Jahr lang glich die Friedrichstraße morgens einem Pilgerweg. Wegen einer U-Bahn-Baustelle mussten Tausende Berufspendler laufen – rund 500 Meter weit. Zwischen den Stationen Friedrichstraße und Französische Straße war der Zugverkehr eingestellt. Seit 17. November fahren die Züge der U-Bahn-Linie 6 nach 16 Monaten Bauzeit wieder ohne Unterbrechung durch.
■ Grund für die Unterbrechung waren Bauarbeiten für den künftigen Umsteigebahnhof Unter den Linden. Hier soll sich die Linie 6 mit der U-Bahn-Linie 5 kreuzen, die gegenwärtig vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor verlängert wird. Täglich werden bis zu 155.000 Fahrgäste erwartet. Die U5 dockt dann an die sogenannte Kanzlerlinie an, die bis zum Hauptbahnhof führt. 2019 soll alles fertig sein. Bisher seien die Arbeiten im Zeitplan, sagte ein BVG-Sprecher.
■ Die Baustelle hatte aber nicht nur Nachteile: Einzelhändler in der Friedrichstraße hätten gefragt, ob die Baustelle nicht über die Weihnachtszeit noch bestehen bleiben könne, so die BVG. Schließlich führte die Baustelle täglich viele potenzielle Kunden an den Läden vorbei. Einzelne Geschäfte hätten ihre Öffnungszeiten in den Morgenstunden deswegen sogar ausgeweitet.
■ Den neuen Tunnel und den künftigen U-Bahnhof Unter den Linden werden die Fahrgäste durch das U-Bahn-Fenster im Übrigen kaum zu sehen bekommen. Zwar gebe es schon Bahnsteige im Rohbau, die seien allerdings nur dann erkennbar, wenn das Tunnellicht brenne. „Man fährt nicht durch einen Geisterbahnhof“, sagte der Sprecher. (dpa)
VON KLAAS-WILHELM BRANDENBURG
David Dreker sieht nicht aus wie der klassische Geschäftsmann. Der fast zwei Meter große, schlanke Mann steht im U-Bahnhof Französische Straße, er trägt eine übergroße Vintage-Jacke, eng anliegende Jeans und unter dem offenen Hemd ein T-Shirt mit tiefem Ausschnitt. Seine lockigen Haare, mühsam zum Seitenscheitel gekämmt, fallen ihm ins bärtige Gesicht, sobald eine U-Bahn einfährt. Der frische Fahrtwind, das kühle Neonlicht, die lauten Züge – es ist kein besonders einladender Ort, an dem Dreker steht. Aber er mag ihn, und wahrscheinlich ist er deshalb so fest von seiner Idee überzeugt: Er will hier, im U-Bahnhof Französische Straße, ein Veranstaltungszentrum eröffnen – wenn die Station in sechs Jahren überflüssig wird wegen des Baus des neuen Kreuzungsbahnhofs Unter den Linden nur wenige Meter entfernt.
Künstler, Firmen, Initiativen – sie alle sollen dann in dem knapp 700 Quadratmeter großen Bahnhof in Mitte ihre Heimat finden. Gelingen soll das, indem Unternehmen oder größere Gruppen den U-Bahnhof für ihre Zwecke mieten können: für Pressekonferenzen, Firmenessen oder Geburtstagsfeiern. Die Einnahmen will Dreker nutzen, um Künstler kostenlos ihre Werke ausstellen zu lassen und an Tagen, an denen sich niemand eingemietet hat, den U-Bahnhof für die Öffentlichkeit zu öffnen. „Ich will nicht, dass hier einfach abgeschlossen wird, und dann kommt da keiner mehr rein – es sein denn, er ist prominent oder hat Geld“, so Dreker. „Der U-Bahnhof ist heute ein öffentlicher Ort, und er sollte das auch nach 2019 bleiben.“
Das erinnert ein bisschen an Robin Hood: den Reichen nehmen, den Armen geben. Aber es klingt nicht nach der Idee eines erfolgsorientierten Geschäftsmanns. Dreker ist weder das eine noch das andere: Der 23-Jährige studiert zwar im Bachelor Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin. Eine wirkliche Leidenschaft konnte er dafür jedoch nie entwickeln. Er ist schon jetzt im siebten Bachelor-Semester, erst im Sommer wird er wohl fertig werden.
Vielleicht könnte man sagen, er ist kein Theoretiker, sondern ein Praktiker. Denn ausgerechnet für sein Studium ist die Idee für das Veranstaltungszentrum entstanden. Im Oktober 2012 fiel ihm ein Flyer in die Hand, beworben wurde ein Seminar zur Existenzgründung an der FU. „Da dachte ich mir zum ersten Mal in meinem Studium: Das klingt spannend“, erzählt Dreker. Also machte er mit.
Auf der Suche nach einer Geschäftsidee erinnerte er sich an die Zeit zurück, als er gerade frisch in seine WG gezogen war, ganz nahe am U-Bahnhof Platz der Luftbrücke, den die U6 ebenso anfährt wie die Französische Straße. „Als ich damals gelesen hab, dass die U6 für ein Jahr unterbrochen wird, hab ich mich tierisch drüber aufgeregt“, erinnert er sich.
Zumauern geht nicht
Als er nach dem Grund der Unterbrechung suchte, las er, dass zwischen Friedrichstraße und Französischer Straße ein neuer Bahnhof entsteht: Unter den Linden, an dem ab 2019 die dann verlängerte U5 und die U6 halten. Weil dieser Bahnhof aber nur 80 Meter von der Französischen Straße entfernt ist, bedeutet die Öffnung des neuen Bahnhofs gleichzeitig das Ende des alten. Aber keineswegs das vollständige Ende: Der Bahnhof Französische Straße, in den 1920ern gebaut, ist denkmalgeschützt: Einfach zugemauert werden darf er also nicht. „Da kam mir die Idee, daraus ein Veranstaltungszentrum zu machen“, sagt der 23-Jährige.
Neben Kunstausstellungen kann sich Dreker dort auch regelmäßige Partys vorstellen. „Aber ich will nicht noch so etwas Versnobtes. Davon gibt es in Mitte schon genug“, schränkt er ein. Dort, wo heute der Kiosk ist, könnte dann die Bar durstiges Feiervolk mit Getränken versorgen. Und dort, wo heute Plakate hängen, könnten Künstler ihre Bilder aufhängen, die auch während der Partys oder Firmenveranstaltungen zu sehen bleiben. Dreker will möglichst viel vom heutigen Zustand erhalten: „Man soll erkennen, dass das mal ein U-Bahnhof war.“ Alte U-Bahn-Sitze würden als Bänke dienen, und auch die U6 würde weiter fahren – allerdings durch dicke Plexiglasscheiben getrennt vom Bahnsteig. „Das Schimmern der Lichter aus dem Zug, das wäre schon ein einmaliger Effekt“, findet Dreker.
All diese Ideen hat er für das Existenzgründungsseminar in einen 27 Seiten langen Businessplan gegossen – nachdem er ein Semester lang dafür Vorlesungen und Seminare von Unternehmens-Coaches und Anwälten besucht hatte. Britt Perlick von Profund, der Gründungsförderung der FU, leitete den Kurs. „Ich wusste gar nicht, dass die Französische Straße geschlossen wird“, erzählt die 34-Jährige. Umso mehr habe sie die Kreativität Drekers überzeugt: „Das Konzept hat auf jeden Fall Potenzial.“ Auch andere scheinen das zu denken: Beim Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg schaffte es Drekers Entwurf auf Platz 7 von mehr als 150 Studierenden, an der FU landete er sogar in den Top 3.
Die Idee scheint also vielversprechend. Aber David Dreker ist nicht der Einzige, der sich schon jetzt Gedanken um die künftige Nutzung des U-Bahnhofs macht. „Wir haben bereits mehrere Anfragen“, sagt BVG-Sprecher Klaus Wazlak. Die BVG hat offiziell vom Senat den Auftrag, ein Nachnutzungskonzept zu entwickeln, hält sich bislang aber bedeckt. „Noch sind wir in einem sehr frühen Anfangsstadium“, begründet das Wazlak. „Darum können wir noch nicht sagen, was später aus dem Bahnhof wird.“ Man nehme aber alle Vorschläge offen auf.
Ein kritischer Punkt in Drekers Idee ist die Finanzierung. Denn für den Umbau des U-Bahnhofs werden nach seiner Rechnung mehr als 5 Millionen Euro benötigt – Geld, das er selbst nicht hat. Das Land müsste über die BVG den Großteil finanzieren, wäre dann aber auch Mitgesellschafterin des Veranstaltungszentrums. Aber wenn alles so läuft, wie sich Dreker das vorstellt, soll das Veranstaltungszentrum bereits nach zweieinhalb Jahren schwarze Zahlen schreiben. Ein Anreiz, der die chronisch in den Miesen steckende BVG vielleicht überzeugen könnte – oder andere Investoren. „Mit dem richtigen Partner kann er das mit Sicherheit umsetzen“, glaubt auch Britt Perlick, die Leiterin von Drekers Businessplan-Seminar.
Würden sich die BVG oder andere Interessierte tatsächlich für David Drekers Idee entscheiden, wäre das für ihn die Erfüllung eines ganz besonderen Traums: Denn mit dem Bahnhof verbindet ihn mehr als nur ein Business-Plan. „Es gab vor kurzem eine Zeit, da bin ich immer zur Französischen Straße gefahren, wenn es mir schlecht ging“, erzählt er. „Wenn man dort aus dem U-Bahnhof kommt, fühlt man sich so städtisch. Es herrscht immer Trubel, man ist umgeben von schönen Häusern. Das habe ihn wieder aufgemuntert.
Vielleicht kann er in sechs Jahren diese Schönheit jeden Tag genießen. Dann auf dem Weg zu seiner Arbeit.