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Archiv-Artikel

Gestalte deinen Körper ehrlich

HARTE MUSKELN Die Suche nach dem Einfachen hat die professionelle Körperertüchtigung erreicht. Besuch im außergewöhnlichen Studio „Blackrock“ in Mitte, wo Fitness handgemacht ist

VON THOMAS ALKEMEYER

Romantisch eingefärbte Kritiken an den vermeintlichen Sackgassen der modernen Welt sind so alt wie diese selbst. Und sie haben viele Gesichter. Seit einigen Jahren zeigen sie sich in der Liebe zum Vintage ebenso wie in bärtigen jungen Männern, die in grob gestrickten Pullovern auf dem Wochenmarkt kleine Kartoffeln verkaufen, „an denen extra viel Erde klebt“, wie man im Sommer in der Süddeutschen Zeitung lesen konnte.

Handgemachtes hat Konjunktur. Manufakturen für Schuhe, Schokolade, Fahrräder oder Rasierpinsel aus Naturborsten bedienen nostalgische Gefühle für eine vorindustrielle Zeit, in der „die Dinge noch gut waren“, wie es in der Werbung für „Manufactum“ heißt. Die Großstadt-Boheme besinnt sich auf Rohkost und die guten alten Werte der Bürgerlichkeit; urban knitter stricken gegen die graue Welt des Großstadtbetons an und überziehen Parkuhren und Straßenschilder mit ihren bunten Strickereien; ungezählte Rockbands zwischen Los Angeles, London und Berlin suchen wieder Inspiration in der Mythenwelt von Country, Folk und Americana und lassen ihre Musik auf Vinyl pressen.

Längst prägt die Suche nach dem Einfachen auch die trendigen Welten des Fitnesssports und der urbanen Bewegungskultur. Ob Fitness-Bootcamps oder das riskante Fahren mit Fixed-Gear-Bikes ohne Gangschaltung, Licht und Bremse, man konzentriert sich aufs Wesentliche. In Berlin hat der neue Purismus inzwischen aber auch die Kultur der Fitnessstudios erreicht, in einem Hinterhof in Mitte – wo sonst?

In feiner Lage zwischen Reichstagsgebäude und Friedrichstraße ist eine Stätte minimalistischer Körperertüchtigung entstanden, die nur Insider finden. Keine aufdringliche Werbung, weder Namenszug noch Logo an der Eingangstür. Die beiden Betreiber setzen auf Mundpropaganda. Wer Einlass begehrt, muss wissen, wo man klingelt.

Drinnen eine Mischung aus Berliner Altbauwohnung, Weinkeller, Galerie, Turnhalle und Spielplatz. Zweistöckig. Im gewölbeartigen Souterrain der Eingangsbereich mit dezenter Sportartikelwerbung, Sportfotografien, Bildbänden über Muhammad Ali und den Sport in der Kunst sowie Pokalen der beiden Chefs aus ihrer aktiven Zeit als Bodybuilder und Eishockeyspieler. Im angrenzenden „Spielzimmer“ der Natur nachempfundene Bodenflächen aus Meeressand und welligem Kunststoff zur Schulung von Spürsinn und Gleichgewichtsgefühl, dazu ein beeindruckender Bestand aus selbst erdachten und gefertigten Geräten zum Training von Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit: sandgefüllte Gießkannen und Autoreifen, Seilzüge und Klettervorrichtungen aus Tauwerk, Expander, zusammengebastelt aus Schiffszubehör und Latexbändern, Sandsäcke und – er darf natürlich nicht fehlen – der Medizinball.

Oben dann – Geübte müssen nicht die Treppe, sondern können auch ein Kletterseil nehmen, um in die erste Etage zu kommen – die „Turnhalle“ mit Parkettboden, Sprossenwand und einer flexiblen Konstruktion aus Pfosten und Stangen zum Klettern und Turnen, für Klimmzüge und Liegestütze. Alles aus hellem, hochwertigem Holz, exklusiv vom Tischler gefertigt, sogar das Waschbecken an einer der Querwände. Ein Spiegel zwischen großen Fenstern an der Längswand macht es möglich, sich beim Üben selbst zu beobachten.

Dieser Ort ist eine Antwort auf die Unorte der großen Fitnessketten mit ihren Maschinenhallen, die ähnlich wie Flughäfen, Bahnhöfe oder Hotels überall auf der Welt gleich aussehen. Er gibt sich unverwechselbar – hip, aber doch auch familiär und persönlich. Anstelle von Massenabfertigung wird hier ausschließlich ein individuell zugeschnittenes Personal Training mit Trainern angeboten, die die „Philosophie“ des Ortes mit ihren eigenen Körpern beglaubigen: um die dreißig der eine, an die fünfzig der andere, Großstadtbart und tief sitzende Sweat Pants hie, Tattoos und ärmelloses Muscle Shirt dort, beide unverschämt gut austrainiert, aber doch ganz anders als die Titelfiguren von Men’s Health oder Fit for Fun.

Körperertüchtigung ja, Lifestyle nein

Ursprünglich sollte das Studio stundenweise auch an andere Trainer vermietet werden. Aber dieser Plan ist erst einmal vom Tisch. Zu groß sei die Gefahr einer Trübung der Reinheit von Konzept und Stil durch unpassende Performances und Trainingsmethoden. Körperertüchtigung soll hier weder anonyme Körperproduktion sein noch bloßer Lifestyle, in dem der Schein über das Sein triumphiert, sondern ehrliche Hand-, nein Körperarbeit – ein wenig so, wie Bruce Springsteen den Rock ’n’ Roll arbeitet: in dreistündigen Konzerten, bis wirklich nichts mehr geht.

Es versteht sich von selbst, dass Safttheke, Espressomaschine und Fitnessriegel-Sortiment hier nur stören würden: es soll geschuftet werden, sonst nichts. Für Fortbildungen mit Sportwissenschaftlern und Medizinern gibt es in der „Turnhalle“ eine Wandtafel und Kreide. Computer oder gar Smartboard sucht man ebenso vergeblich wie chromblitzende Kraftmaschinen.

Die Trainingsmethoden und Kompetenzen der beiden Betreiber stammen aus der modernen Sport- und Trainingswissenschaft, ihre Semantik und ihr Selbstverständnis aber sind dem Handwerk und dem Baumarkt entliehen. Sie steuern die Auswahl der Materialien und die Bauweisen der Geräte. Das Resultat sind Trainingspraktiken, die ganz anders sind als diejenigen, die man aus normalen Fitnessstudios kennt: keine Einspannung des Körpers in eine Maschinerie „entfremdeter“ Körperproduktion, die Bewegungsrichtungen und -umfänge vorgibt wie ein Korsett; dagegen Arbeiten mit dem eigenen Körpergewicht, selbsttätiges Ausbalancieren, Finden des Gleichgewichts.

Wer hier trainiert, möchte individuell betreut werden und seinen Körper im direkten Umgang mit Trainer und Material handwerklich gestalten. Nachdem der Körper in den Maschinenhallen der Fitnessketten zu einem Massenprodukt gemacht wurde, soll das Fitnesstraining hier wieder menschlich und individuell werden.

Es ist ein Leichtes, Stätten dieser Art als Orte einer um soziale Distinktion bemühten Wohlstandsklientel zu dechiffrieren oder ihre romantisierendes Gestaltung als bloße Fassade einer fortschreitenden Disziplinierung und Ökonomisierung des Körpers zu entlarven. Tatsächlich muss man neben dem nötigen Kleingeld auch einen bestimmten Geschmack haben, um Zugang zu finden. Hier werden nicht nur Gesundheit und Fitness verkauft, sondern auch das Lebensgefühl von Milieus, die ihre Smartphones gern in aus gebrauchtem Leder gefertigte Hüllen der Marke „Zirkeltraining“ stecken und High Technology so mit Schwärmereien für die guten alten Zeiten versöhnen. Es ist vermutlich nicht allein der etwas teurere Preis, der andere Milieus davon abhält, hier eine Stunde mit einem Personal Trainer zu buchen. Auch das Ambiente sorgt für Exklusivität.

Sehnsucht nach dem nicht entfremdeten Leben

Keine kulturelle Praxis geht allerdings in der puren Funktion, sich vor anderen hervorzutun, vollkommen auf. In der Suche nach dem Einfachen, dem Selbstgemachten und Authentischen zeigt sich vielmehr auch ein wiedererwachtes Bedürfnis nach nicht entfremdeten Beziehungen, nach Nähe zum Material, zum Produkt und zum eigenen Körper, nach einer Versöhnung des Menschen mit der Welt der Arbeit, nach persönlicher Betreuung und Tätigkeiten, die um ihrer selbst willen gut gemacht werden.

In den Räumen eines neuen Körper-Handwerks wird der technologischen Utopie des Körpers als möglichst effizient und reibungslos funktionierender Maschine, die im vergangenen Jahrhundert die Fantasien in Medizin, Arbeit und Sport beflügelte, die Vorstellung eines Körpers entgegengestellt, um dessen Gesundheit nachhaltig Sorge zu tragen ist – genauso wie um die bedrohte Natur. Es sind dies keine Räume für Anabolika, schon eher für biologisch angebauten Gemüsesaft.

Thomas Alkemeyer ist Professor für Soziologie und Sportsoziologie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – und kennt das Studio aus einer entschieden teilnehmenden Beobachtung.