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Archiv-Artikel

„Wir brauchen Kulturdolmetscher an den Schulen“

Elternkurse für Migranten reichen nicht aus, sagt Ali Ucar. Und nur wenn sie es gut können, sollen die Eltern mit ihren Kindern deutsch sprechen

taz: Herr Ucar, neue Versuche, Eltern mit Migrationshintergrund in das Schulleben ihrer Kinder einzubinden, sind Elternabende in Türkisch oder Arabisch oder Kurse, bei denen Mütter in der Schule ihrer Kinder Deutsch lernen. Ist das der richtige Weg?

Ali Ucar: Das sind in der Tat alles erfreuliche Fortschritte. Das reicht allerdings nicht. Um Schule und Eltern zusammenzubringen, braucht es meines Erachtens regelrechte Kulturdolmetscher: also Menschen, die nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur dieser Familien kennen. Wir brauchen dafür qualifiziertes Personal, das die Verständigung, weit über die sprachliche hinaus, vorantreibt. 30 Jahre nachdem die ersten Kinder so genannter Gastarbeiter eingeschult wurden, verstehen die Eltern die Schule und die Schule die Eltern nicht.

Sollte der ideale Kulturdolmetscher ein Lehrer nichtdeutscher Herkunft sein?

Natürlich. Dass Menschen mit einem ausländischen Abschluss kaum eingestellt wurden, ist einer der größten Fehler der Integrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Dass es Lehrer gibt, die den gleichen Hintergrund wie die Mehrheit ihrer Schüler haben, gehört zu einem interkulturellen Schulalltag unabdingbar dazu. Ich habe allerdings Hoffnung, dass sich daran etwas ändern könnte: In meinen Lehrveranstaltungen sehe ich immer mehr angehende Lehrer nichtdeutscher Herkunft. Man sollte sie in den Innenstadtbezirken dringend bevorzugt einstellen.

Aber eigentlich soll doch im Unterricht deutsch gesprochen werden – damit die Kinder wenigstens dort ein paar Stunden am Tag mit der Sprache konfrontiert werden.

Kinder sollen natürlich in der Schule Deutsch sprechen und lernen. Dennoch ist aus pädagogischer Sicht unstrittig, dass Mehrsprachigkeit und Bikulturalität für eine positive Entwicklung des Kindes genutzt werden können, wenn sie als Wert und nicht als Defizit betrachtet werden. Den Hintergrund von Kindern ernst zu nehmen hat nichts mit der Bildung von Parallelgesellschaften zu tun.

Eine der am häufigsten gehörten Forderungen an Eltern mit Migrationshintergrund lautet, zu Hause mit ihren Kindern deutsch zu sprechen …

… aber bitte nur, wenn sie es können! Kinder umzuschulen, die falsches Deutsch – beispielsweise das typisch kreuzbergerische deutschtürkische Mischmasch – gelernt haben, ist schwieriger, als ihnen eine neue Sprache beizubringen. Deswegen sollte man auch Mütterkurse nicht überschätzen. Sie sind wichtig, um Mütter an die Schule ihrer Kinder zu binden und ihnen ein bisschen Alltagsdeutsch zu vermitteln. Aber sie werden in den allermeisten Fällen nicht dazu führen, dass Mütter ihren Kindern kompetente Deutsch-Nachhilfe geben können.

Zum Teil entsteht der Eindruck, dass türkische und arabische Eltern sich nicht für die Schullaufbahn ihrer Kinder interessieren. Stimmt das?

Nein. Die Eltern haben sogar ein sehr großes Interesse daran, dass ihre Kinder gut ausgebildet werden – schon allein, damit die es mal besser haben als sie selbst. Leider wissen sie aber gar nicht, wie sie sich konstruktiv in der Schule einbringen sollen.

Und warum kommen ausländische Eltern oftmals nicht zu Elternabenden, kümmern sich nicht um die Hausaufgaben und sind für Lehrer häufig irgendwann gar nicht mehr zu erreichen?

Die Kluft zwischen deutschen Lehrern und Eltern nichtdeutscher Herkunft ist enorm. Der Lehrer hat Eltern im Kopf, wie er sie aus Deutschland kennt. Und er trifft auf Familien, die sich wünschen, dass er die Kinder alleine erzieht und sie ihre Ruhe haben. Die Schule muss sich endlich klar machen, woher die Eltern kommen, die sie gerne motivieren möchte: Viele Eltern wissen nicht nur nichts über das Schulsystem, sondern auch nicht über pädagogisch wertvolle Erziehung. Wenn ein Lehrer auf sie zukommt – was ja gut gemeint ist –, fühlen sie sich häufig unter Druck gesetzt. Sie reagieren gar nicht oder inadäquat – schlimmstenfalls mit Gewalt oder damit, ihr Kind gar nicht mehr zur Schule zu schicken. JEANETTE GODDAR