MAFIOSI IN HAFT – ES KOMMT AUF DIE VERSTRICKUNGEN DER POLITIKER AN
: Fahndungserfolge nach Berlusconi

Erst, im April, kam die Verhaftung des Oberbosses Bernardo Provenzano. Jetzt folgte darauf die Festsetzung praktisch der gesamten Mafia-Führungsspitze von Palermo. Die Staatsanwälte haben allen Grund, ihren Doppelschlag als größten Fahndungserfolg der vergangenen Jahre zu feiern. Bei weitem nicht so sicher ist dagegen, ob die Cosa Nostra damit in die Knie gezwungen ist, wie die Ermittler in triumphalen Tönen bekunden. Die Mafia, Siziliens größtes Unternehmen mit jahrhundertelanger Tradition, hat in der Vergangenheit immer wieder eine enorme Fähigkeit gezeigt, auch mit schweren Niederlagen fertig zu werden.

Und doch ist diesmal vielleicht wirklich manches anders als 1993. Damals wurde Totò Riina, das Oberhaupt, verhaftet – mehr aber auch nicht. Die Mafia konnte unter dem neuen Chef Bernardo Provenzano einfach weitermachen, selbst das Versteck Riinas durften die Bosse komplett ausräumen, ehe die Polizei mit mehrwöchiger Verspätung zur Sicherung der – natürlich nicht mehr vorhandenen – Riina-Geschäftspapiere anrückte. Diesmal dagegen werteten die Fahnder Provenzano Unterlagen gründlich aus – und ließen nun fast das gesamte aktuelle führende Management der Firma hochgehen.

Doch eng wird es erst, wenn die politische Protektion ins Wanken gerät, über die die ehrenwerte Gesellschaft verfügt. 1993 schien es schon einmal so weit, mit den Anklagen gegen Giulio Andreotti, Altstar der italienischen Christdemokratie. Doch sein Prozess endete im Nichts – und seitdem gilt es für einen Politiker nicht einmal mehr als ehrenrührig, im Ruch der Mafia-Komplizenschaft zu stehen. Der Berlusconi-treue Regionalpräsident Siziliens, Totò Cuffaro, wurde erst vor drei Wochen von den Wählern überzeugend in seinem Amt bestätigt, obwohl er als Mafia-Helfer gerade vor Gericht steht.

Wenn die Staatsanwälte jetzt handfeste Beweise für die Verstrickungen zahlreicher Politiker mit der Mafia liefern sollten, dann wäre wirklich klar: Der Wind in Sizilien hat sich gedreht. Und dann würde wohl auch klar, warum die aktuellen Fahndungserfolge jetzt möglich sind: weil Silvio Berlusconi abgewählt ist. MICHAEL BRAUN