: „Unser Schulsystem macht aggressiv“
Auf einer Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste über rechte Gewalt in Deutschland herrschte gar keine patriotische WM-Laune. Und Uwe-Karsten Heye legt nach: Jugendliche werden in der Schule erst zu rechten Schlägern
Uwe-Karsten Heye hat es erst vor wenigen Wochen in die Schlagzeilen gebracht: Kurz vor Beginn der Fußball-WM warnte der ehemaliger Regierungssprecher der rot-grünen Bundesregierung, WM-Besucher mit dunkler Hautfarbe sollten nicht nach Brandenburg reisen, weil dies zu gefährlich sei. Heye löste mit seiner These von No-Go-Areas eine kontroverse öffentliche Debatte aus.
Heute, gut zwei Wochen nach dem Beginn der WM und keinen gravierenden Übergriffen auf ausländische Fußballfans (samt eines lustigen Klinsmann-Patriotismus), scheinen die Beschwichtiger der Heye-Warnung wieder Oberwasser zu kriegen. Deutsche schlagen Ausländer – wenn überhaupt – im Fußball, aber nicht mit Baseball-Schlägern, so der Tenor. Alles nur Aufregung?
Wohl kaum. Der neue Präsident der Akademie der Künste, der Grafiker Klaus Staeck, hatte – weil er „die Probleme nicht versteckt sehen will“ – am Dienstagabend Heye in das Haus am Hanseatenweg zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Titel: „No-Go-Areas? Rechte Gewalt in Deutschland“. Die Frage, die Staeck an Heye sowie an alle anderen Teilnehmer richtete, war klar: „Werden wir Nörgler jetzt korrigiert?“
Dass die Antworten eindeutig nein lauteten, lag sicher an der homogenen Besetzung des Podiums. Falsch waren sie darum aber keineswegs. Von nach wie vor „offener Gewalt“ mit „zunehmender Tendenz“ in der rechten Szene etwa berichtete Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung. Den Schwerpunkt der gewaltbereiten Neonazis nannte sie auch: „Ostdeutschland“.
Simplice Freeman, Migrant aus Kamerun und Opfer eines rassistischen Übergriffs, bestätigte Kahanes Ausführungen und setzte noch eins drauf: Wenn man als Schwarzer im Osten der Republik versuche, sich bei der Polizei über Rechte zu beschweren, werde man nicht ernst genommen, sagte Freeman. „Als Schwarzer ist man hier nicht aufgehoben“, so seine Bilanz.
Und nicht nur als Schwarzer, sondern auch als Weißer, fügte Georg Katzer, Komponist und Leiter von Projekten an Schulen, hinzu. Auch er werde schon mal von Jugendlichen in der Bahn „angepinkelt“ und verbal „nach Auschwitz“ geschickt. In Königs Wusterhausen sei „so was Alltag“.
Und woher nährt sich ein derartiger Alltag? Für Heye liegen die Gründe für „rechte Zonen“, für eine rechte Jugendszene und für rassistische Gewalt zum einen im strukturschwachen Wirtschafts- und damit Perspektivstandort Ostdeutschland. Zum anderen seien die Ursachen der rechten Gewalt und ihre Akteure „im Schulsystem“ zu finden. Immer mehr Schulen im Osten würden geschlossen. In Schulen, die noch offen seien, würden nicht wenige Stunden im Stil des Frontalunterrichts abgehalten. Das Miteinanderlernen wie in Teams werde dadurch nicht gefördert.
Heye, der auch Vorsitzender des Vereins „Gesicht zeigen!“ ist, kritisierte, dass insbesondere Brandenburg im Begriff sei, sich noch mehr Probleme aufzuladen. Wenn das dreigliedrige Schulsystem dort – wie in Bayern etwa – eingeführt werde, würden gute und schlechte Schüler zu früh getrennt. Und wer dann auf der Hauptschule lande, sei auf dem Weg – nach rechts – „raus aus der Gesellschaft“. Die Situation an den deutschen Schulen mache Kinder und Jugendliche „aggressiv und krank“. Es könne nicht hingenommen werden, dass zehn Prozent aller Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verließen. ROLF LAUTENSCHLÄGER