: Australo-Kroaten vs. Kroato-Australier
Wenn Kroatien und Australien sich heute um den letzten freien Achtelfinalplatz in Gruppe F streiten, treffen eigentlich Verwandte aufeinander
STUTTGART taz ■ Nach einer Trainingseinheit mit Hertha BSC Berlin im vergangenen November hatte es Josip Simunic besonders eilig, nach Hause zu kommen. In Deutschland war es gerade um die Mittagszeit, doch auf der anderen Erdhalbkugel, im Olympiastadion von Sydney, wurde in diesem Moment das Flutlicht für das entscheidende WM-Relegationsspiel zwischen Australien und Uruguay angeknipst. Ein Pflichttermin für Simunic, den gebürtigen Australier, der sich dem Land immer noch verbunden fühlt – auch wenn er sich in erster Linie stets als Kroaten wahrgenommen hat.
Und eben nicht als Australier. Zwar wuchs er auf dem Fünften Kontinent auf, doch das war nur der geografische Rahmen. In ihm drin sah es anders aus: Simunic bekam von seinen kroatischen Eltern das kroatische Lebensgefühl, die schwierige kroatische Geschichte und kroatische Sitten vermittelt, spielte für Canberra Croatia Fußball. Doch zum Profi ausgebildet wurde er am Australian Institute of Sport in der Hauptstadt Canberra. Trotzdem fiel Simunic, als es darum ging, sich für eine Nationalmannschaft zu entscheiden, die Wahl nicht schwer. 2001 machte er sein erstes A-Länderspiel für Kroatien, und seitdem sind die Australier nicht gut auf ihn zu sprechen. Sagt Simunic. Es tut ihnen Leid um die schönen Steuergelder, die sie in seine Ausbildung gesteckt haben, glaubt er. Nur um zu sehen, wie er heute um 21 Uhr beim entscheidenden Spiel um den noch zu vergebenen Achtelfinalplatz in der WM-Gruppe F auf der falschen, der kroatischen Seite mitspielt.
Zuletzt hat Simunic beim 0:0 gegen Japan auf seiner linken Abwehrseite fleißig aufgeräumt – nun weiß er, dass den Kroaten nach ihren zwei WM-Partien ohne eigenes Tor gegen die Fußballer aus seinem Geburtsland nur ein Sieg weiterhilft. „Wir sind zufrieden mit unserer Leistung, nicht aber mit unseren Resultaten“, lautet die aktuelle Turnierbilanz des 28-Jährigen, der sich bei dem Gedanken an das Australien-Spiel ein Grinsen nicht verkneifen kann: „Das wird ein schönes Spiel. Und ein ganz besonderes dazu.“
Und das nicht allein wegen Josip Simunic. Bei einem halben Dutzend der Spieler, die heute Abend in einem der beiden Mannschaftskader stehen, lösen kroatisches Blut auf der einen und Kindheitserlebnisse in Australien auf der anderen Seite ein wildes emotionales Durcheinander aus. Dass die Partie in Stuttgart mit seiner großen kroatischen Bevölkerungsschicht stattfindet, macht die Sache nur noch schöner. „Das Spiel gegen Kroatien“, reibt sich der australische Cheftrainer Guus Hiddink deshalb auch schon einmal die Hände, „wird ein großes Finale.“ Auch der Niederländer hat seit der WM-Auslosung im Dezember mitbekommen, dass es „bei diesen beiden Mannschaften einige Verbindungslinien gibt“. Im kroatischen Team erblickten neben Simunic auch Torwart Joey Didulica und Mittelfeldspieler Anthony Seric in Australien das Licht der Welt. Bei den Australiern haben Ersatzkeeper Ante Covic und Mittelfeldmann Josip Skoko kroatische Wurzeln. Darüber hinaus spielte der Berliner Simunic in Canberra einst mit Hiddinks Stammkräften Mark Viduka, Lucas Neill und Brett Emerton zusammen.
Doch bei all den hübschen Zickzacklinien zwischen den beiden Teams geht es in Stuttgart vor allem um ein großes sportliches Ziel, das Erreichen des Achtelfinales. Von Australien aus hat sich deshalb sogar Premierminister John Howard für Offensivkraft Harry Kewell ins Zeug gelegt, der wegen eines verbalen Disputs mit Schiedsrichter Markus Merk nach dem 0:2 gegen Brasilien bei der Fifa antanzen musste. Inzwischen ist Kewell freigesprochen, sehr zur Erleichterung des Premiers.
Der Mann vom FC Liverpool darf also mitspielen, genauso wie Josip Simunic. Und sollte sich der Australo-Kroate am Ende wieder böse Worte der Aussies anhören müssen, so ist er zumindest vorbereitet. „Ich bin vielen Leuten in Australien sehr dankbar“, sagt er schon einmal. „Und wenn mich jemand auf der Straße einen Verräter oder Ganoven nennt, ist mir das ziemlich egal.“ ANDREAS MORBACH