: Der Öko-Sozi
AUTOBAHN Wenn die SPD am Samstag erneut gegen die A 100-Verlängerung stimmt, hat Daniel Buchholz großen Anteil daran. „Öko-Taliban“ nennen sie ihn in der Fraktion
■ Der 42-Jährige vertritt die SPD seit Ende 2001 im Abgeordnetenhaus und ist umweltpolitischer Sprecher ihrer Fraktion. Er wurde in Berlin geboren und studierte an der Technischen Universität Wirtschaftsingenieurwesen. Seinen Wahlkreis hat er in Spandau. Dort ist er auch Vizechef des SPD-Kreisverbands, der zum linken Flügel des Partei gehört. (sta)
VON STEFAN ALBERTI
Die Diskussion beim SPD-Landesparteitag war schon fortgeschritten, und es mehrten sich am Rednerpult die Stimmen, die für den Weiterbau der A 100 warben. Das war der Moment, als ein Mann Anfang 40 ans Mikro trat, das Projekt geißelte und Autobahnbeton gegen Kitaplätze aufrechnete. Nur knapp drei Minuten redete Daniel Buchholz, doch diese drei Minuten brachten die Wende. Viele schreiben es vor allem ihm zu, dass die SPD im Mai 2009 knapp gegen die Autobahn stimmte „Ich halte das für ein Gerücht“, wehrt sich Buchholz gegen diese Rolle. Doch auch vor der erneuten Abstimmung beim Parteitag am Samstag ist er die Speerspitze der A 100-Gegner in der SPD.
Die Kollegen von seiner SPD gucken skeptisch, als sie Buchholz in der Kantine des Abgeordnetenhauses beim Interview sehen. In der Fraktion sind die Autobahnfreunde in der Mehrheit – und die fürchten sichtbar, dass Buchholz wieder seinem Ruf gerecht wird. „Öko-Taliban“ nennen ihn oder „Radikal-Ökologen“. Das kommt nicht bloß daher, dass Buchholz der umweltpolitische Sprecher der Fraktion ist – er kann seine Position anders als andere Fachpolitiker auch in klare Worte fassen.
Das macht er auch beim Gespräch in der Kantine. Für 3,2 Kilometer zwischen Neukölln und Treptow 420 Millionen Euro auszugeben, sei „eine ziemlich große Verschwendung“, das Kompromissangebot mit Tempo-30-Zonen und Lärmschutzwänden „nichts als ein Sack heißer Luft“. Man könne noch so viele rote Schleifen drumherumwickeln: „Es bleibt eine Autobahn.“
Der Mann entspricht eigentlich so gar nicht dem Klischee eines Revoluzzers, auch wenn er sich bei gelegentlichen Auftritten als Discjockey „Red Daniel“ nennt. Kein Flackern im Blick, kein Fanatismus in der Stimme, kein wehendes Haar, keine abgewetzte Lederjacke. Buchholz, Diplomwirtschaftsingenieur, ist mit modischem Anzug, dünnrandiger Brille, gepflegtem Bart und weichen, freundlichen Gesichtszügen, die ihn jünger als 42 aussehen lassen, mehr der potenzielle nette Schwiegersohn von nebenan. Und auch wenn er, der sich dem linken Parteiflügel zuordnet, im Parlament und in Interviews gern polemisiert, attackiert, zuspitzt – bleibt er dabei immer im Rahmen. Das hört man auch, wenn man sich unter Fachkollegen von der Opposition umhört, unter Umwelt-, Klima- und Verkehrspolitikern. Sie alle haben sich mit Buchholz im Parlament schon mal beharkt, aber es findet sich keiner, der ihm das persönlich übel nimmt.
Kompetent und konstruktiv nennt ihn der FDP-Abgeordnete Henner Schmidt, „wo es öffentlich ist, haut er gern drauf, aber sonst ist er sehr angenehm im Umgang“. Für CDU-Verkehrsexperten Oliver Friederici ist Buchholz ein freundlicher Typ, ein guter Rhetoriker, der sein Anliegen gut vorbringen kann, „auch wenn er politisch natürlich völlig falsch liegt“.
Vor allem der Grüne Michael Schäfer gerät in Plenardebatten wiederholt mit Buchholz aneinander. Dennoch sagt auch er über Buchholz: „Das ist ein netter Kerl, fast der einzige Sozi, den ich duze.“ Für die Grünen ist Buchholz trotzdem eine Reizfigur. „Öko-Feigenblatt“ heißt er dort. Er erwecke mit seinem Engagement den Eindruck, dass die SPD hier etwas tue, könne sich aber nicht wirklich durchsetzen, ist von Schäfer zu hören. FDP-Umweltpolitiker Schmidt beispielsweise hinterlasse in seiner Fraktion größere Spuren: „Der hat die dazu gebracht, dass die nicht mehr grundsätzlich nein zu einem ordnungspolitischen Klimaschutzgesetz sagen“, sagt Schäfer. Das sei noch vor kurzem undenkbar gewesen.
Buchholz also ein wirkungsloser Everbody’s Darling, der letztlich Everybody’s Depp ist? Würde dieser Eindruck stimmen, wäre Buchholz weder 2001 ins Abgeordnetenhaus gekommen noch 2006 wiedergewählt worden und in den Fraktionsvorstand aufgerückt. Was die Grünen bei ihrer Kritik übersehen, ist seine Beharrlichkeit.
Dafür ist eine Episode besonders bezeichnend: Er war kaum ein Jahr im Parlament, als die BSR ihre Müllverbrennungsanlage in seinem Heimatbezirk Spandau ausbauen wollte. Buchholz wandte sich dagegen, schrieb ein eigenes, alternatives Müllkonzept. Doch in der SPD-Fraktion hatte er keine Chance. 1 zu 40 ging er bei einer internen Abstimmung unter, politisch die Höchststrafe. Der zuständige Arbeitskreischef der Fraktion mokierte sich damals über Buchholz. Der schwor trotzdem nicht ab und hatte Erfolg: Als wenig später die BSR mit ihren Plänen scheiterte, wurde Buchholz’ gerade noch abgestraftes Konzept plötzlich Senatsvorlage.
Heute ist Buchholz selbst der Chef des Arbeitskreise für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr. Gleich zweimal vertrat Buchholz dort in den vergangenen Wochen Minderheitsmeinungen: vor der A 100 bereits zum Börsengang der vormals landeseigenen Wohnungsgesellschaft GSW. Buchholz war es zu wenig, was der Eigentümer dafür bot, dass das Land dem kompletten Börsengang zustimmte – er forderte mehr Mieterschutz.
Nachdem er sich aber in der Fraktion nicht durchsetzen konnte, trug Buchholz deren Position bei der Abstimmung im Abgeordnetenhaus mit. Das habe er mit zwei Ausnahmen stets so gemacht, sagt er: „Ich muss mich ja selbst auch auf die Unterstützung meiner Fraktionskollegen verlassen können, wenn meine Anträge im gesamten Parlament abgestimmt werden.“ Die zwei Ausnahmen liegen mehrere Jahre zurück: Beim milliardenschweren sogenannten Rettungsschirm für die damals marode Bankgesellschaft enthielt er sich, und bei einer Änderung des Teilprivatisierungsgesetzes für die Wasserbetriebe stimmte er dagegen.
Es gibt Stimmen, die stehen kritischer zu seinem Verhalten bei der GSW-Debatte, bei der über 10.000 Wohnungen in seinem Bezirk Spandau betroffen waren: Buchholz habe sich extrem taktisch verhalten, seinen Widerstand genau dann eingestellt, als Spandau als Kompensation mehr Geld fürs Quartiersmanagement zugesagt wurde.
Buchholz zufolge ist es kein Problem, Chef eines Arbeitskreises zu sein, in dem er keine Mehrheiten in zentralen Fragen hat: Er versuche stets klarzumachen, in welcher Funktion er spreche. Das klappt offenbar nicht immer und ist für die SPD nicht unproblematisch. „Bei der A 100 ist ihm das nicht so gut gelungen“, sagt Ellen Haußdörfer, die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion. Und wenn man in diesen Wochen mit Christian Gaebler telefonierte, dem parlamentarischen Geschäftsführer und Verkehrsexperten der Fraktion, dann klang der doch zunehmend genervt von Buchholz’ Oppositionshaltung – und sehr erfreut, als sich der Arbeitskreis gegen ihn stellte.
Mancher sieht Buchholz als Öko bei den Grünen besser aufgehoben. Er selbst verhehlt nicht, dass er zwischen SPD und Grünen abgewogen hat, als er Ende der 80er Jahre über einen Parteieintritt nachdachte. Heute soll das anders sein: „Ich habe mich damals für die SPD entschieden und hab’s seither nicht bereut.“ Daran soll sich auch nichts ändern, wenn er am Samstag beim Parteitag den Autobahnfreunden unterliegt. „Die Diskussion über die A 100 muss dann zu Ende sein“, sagt er, „egal wie das Ergebnis ausfällt.“