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Archiv-Artikel

Wenn sich die Blicke senken

SICHERHEIT Nach mehreren brutalen Überfällen wird die Kritik am öffentlichen Nahverkehr in Hamburg lauter. Die taz hat zwei Security-Mitarbeiter der U-Bahn begleitet

Breit baut der Mann sich vor ihm auf. Er ist einen halben Kopf größer, gut doppelt so schwer

VON TERESA HAVLICEK

Sofort ist Stille, als Svenja Kreutzer und Kai Dongowski in die U-Bahn steigen. Telefonate werden hastig beendet, Gespräche brechen schlagartig ab, die Blicke senken sich. Schuhe, der graue Boden der U-Bahn, alles scheint interessanter, als geradeaus zu gucken. Alles, bloß keinen Blickkontakt mit den beiden aufnehmen.

Kreutzer und Dongowski arbeiten in Bussen und U-Bahnen für die Hochbahn-Wache, den Sicherheitsdienst des Verkehrsbetreibers Hamburger Hochbahn. Schwere, schwarze Schuhe, dunkelblaue Hosen und Jacken mit gelben Reflektor-Streifen am Kragen. Breit wirken die Schultern darin. Gummiknüppel und Handschellen baumeln am Hosenbund. „Es geht nie um die Person“, sagt Kreutzer, „immer um die Uniform.“ Eigentlich sehen sie ansprechend aus. Kreutzer, 27, eine hübsche Frau, hochgewachsen, das blonde Haar zum Zopf gebunden. Dongowski, 35, ein Kumpel-Typ mit braunen Knopfaugen.

Etwa 400 Millionen Menschen nutzen die Linien der Hochbahn jährlich. 281 Gewaltdelikte hat es dort 2009 gegeben, 40 mehr als im Jahr davor. Auf 220 Sicherheitskräfte wurde das Personal der Hochbahn-Wache im vergangenen Jahr aufgestockt.

Die U-Bahn fährt in Wandsbek-Markt ein. Die erste Station, auf der Kreutzer und Dongowski an diesem Freitagabend Streife gehen. Hektisch drückt Dongowski den Türknopf schon bevor die Bahn hält. Die Blicke wandern das Gleis entlang. „Da sehe ich schon was“, sagt Dongowski. Ein dicker Mittfünfziger mit Lockenkopf und aufgedunsenem Gesicht sitzt auf einer der metallenen Bänke. In der Hand eine Bierflasche – ein Verstoß gegen die Hausordnung der Hochbahn. Zwei Bahnen lassen die Sicherheitsleute abfahren, den Mann lassen sie nicht aus den Augen. Dann gehen sie los. Die erste Maßnahme des Tages einleiten, wie sie es nennen. „Sonst würde hier irgendwann alles voll sitzen“, meint Dongowski.

Es sind die heftigen, brutalen Fälle, die Rufe nach mehr Sicherheitsvorkehrungen, mehr Personal, mehr Videoüberwachung laut werden lassen. Wie der eines 19-Jährigen, der Mitte Mai am S-Bahnhof Jungfernstieg durch einen Messerstich ins Herz getötet wurde. Der 16-jährige Täter war mit seinem späteren Opfer in Streit geraten. Er soll schon zuvor versucht haben, Passanten zu provozieren.

„Was soll der Scheiß“, ruft der Biertrinker in Wandsbek-Markt, als Dongowski ihn auffordert, die Haltestelle zu verlassen. Breit baut der Mann sich vor ihm auf. Er ist einen halben Kopf größer, gut doppelt so schwer. Die Bierflasche ragt aus der Seitentasche seiner speckig glänzenden Lederjacke. Ein Griff würde reichen, sie zu zücken. „Du Frau“, sagt er, als Kreutzer an ihn herantritt, „mit dir rede ich gar nicht erst.“ Kreutzer lächelt, nur kurz zuckt es in ihren Augen. Langsam geht der Mann los in Richtung Rolltreppe, laut fluchend. Kreutzer und Dongowski hinterher. Die umherstehenden Wartenden weichen zurück. Wieder senken sich die Blicke.

Mit 950 Videokameras werden die Hochbahn-Fahrzeuge und -Haltestellen überwacht, Notrufsäulen sind auf den Gleisen, Sprechstellen in den Wagen installiert. Fünf Millionen Euro steuert die Stadt jährlich zum Sicherheitskonzept der Hochbahn bei. Auf Streife geschickt werden ehemalige Polizisten, Maurer, Maler, sogar Juristen. Kreutzer war Tierarzthelferin, bevor sie bei der Hochbahn anfing, Dongowski Koch. Beide haben sie nebenbei an der Türe gearbeitet, sie in einem Club auf der Reeperbahn, er in einer Großraumdiskothek auf Rügen.

Ein kupferfarbener Streifen auf dem Boden der Haltestelle. Hier endet der fahrkartenpflichtige Bereich in Wandsbek-Markt. Bis dahin zahlt 40 Euro, wer sich ohne Fahrschein dort aufhält. Abrupt bleibt der Trinker stehen. „Hier können sie nichts mehr machen“, zischt er Dongowski an. „Hier gilt immer noch das Hausrecht“, hält der dagegen. Plötzlich ist Verstärkung da. Zwei Männer der Hochbahn-Wache stellen sich rechts und links neben Kreutzer und Dongowski. Murrend zieht sich der Mann zurück, steigt die Treppe zum Ausgang hoch. „Scheiße, die sind immer so freundlich“, brüllt er hinab.

Auf Freundlichkeit sind Kreutzer und Dongowski geschult. 1.000 Stunden Ausbildung haben sie hinter sich. Sie haben gelernt, wie man jemanden an der Nase packt, so dass es schmerzt, aber keine Knochen brechen. Sie wissen, was sie dürfen und was nicht.

Kreutzer und Dongowski gehen zurück zum Gleis. Eine Bahn lassen sie vorbeiziehen, in die nächste steigen sie ein. Es wird still, als sie die schweren Stiefel auf den grauen Linoleumboden setzen.