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Archiv-Artikel

Anhängsel des BND

USTAŠA Ulrich Schillers „Deutsch-land und ‚seine‘ Kroaten“ ist die einzige Monografie zur Rolle der BRD beim Zerfall Jugoslawiens. Leider

Schiller will „der einseitigen Schuldzuweisung an Serbien den Boden entziehen“

VON RÜDIGER ROSSIG

Ulrich Schiller ist ein Balkan-Kenner und erfahrener Journalist. 1926 geboren, hat er in Jugoslawien studiert und jahrzehntelang für die ARD und die Zeit berichtet. Eigentlich ist er der ideale Autor für das erste deutschsprachige Buch zur Rolle der wiedervereinigten Bundesrepublik beim Zerfall Jugoslawiens. Doch das wollte er gar nicht schreiben, wie Schiller im Vorwort betont. Ihm geht es darum, „der einseitigen Schuldzuweisung an Serbien den Boden zu entziehen.“

Im Zentrum des Buchs stehen kroatische Extremisten, die nach dem Untergang des „Unabhängigen Staats Kroatien“ (1941–1945) in die Bundesrepublik geflohen waren. Die Bedeutung dieser „Ustaša“ (Widerständler) übertreibt der Autor jedoch in grotesker Weise. IRA, ETA, Brigate Rosse, RAF? Bei Schiller sind die 1960er und 1970er Jahre gekennzeichnet vom kroatischen Terror.

Die Rolle der Diaspora

Auch andere Autoren wie der US-Journalist Paul Hockenos haben das kriegstreiberische Wirken der kroatischen „Diaspora“ beschrieben – und dazu das der serbischen und albanischen. Schiller führt Hockenos’ Buch „Homeland Calling“ (Cornell University Press, 2003) sogar an – aber der Inhalt muss ihm entgangen sein. Stattdessen lebt „Deutschland und ‚seine‘ Kroaten“ von Namedropping. Erschwerend hinzu kommen fehlende oder falsch platzierte Erläuterungen zu Personen und zahlreiche schiefe Metaphern. Etwa, wenn „die giftigen Blasen des Nationalismus“ „gährend“ „dem absterbenden Tito-Kommunismus“ „entsteigen“.

Auch historischen Akteure sind Ulrich Schiller durcheinandergeraten. Mal drehen die Weltmächte, mal balkanische Völker, mal nationale Extremisten, mal ausländische Geheimdienste das Rad der Geschichte. Und unter Letzteren spielt der bundesdeutsche BND eine ganz besonderes böse Rolle. Ende der 1970er und Anfang der 1990er Jahre gilt ihm der Staatssicherheitsdienst der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien als „Anhängsel des BND“.

Die Belege dafür stammen entweder von gescheiterten Figuren aus exjugoslawischen Polit-, Polizei- und Geheimdienstkreisen. Oder aus Publikationen wie denen des „Korrespondenten linker Tageszeitungen“ Jürgen Elsässer, der seit 1991 immer wieder zum Nichtverstehen dessen beigetragen hat, was im Südosten des europäischen Kontinents geschieht. Mit derartigen Stichwortgebern ausgestattet, kommt Schiller zu seiner steilsten These: Es war „der Geist des alten Nazi-verseuchten Gehlen-Apparats, der Geist alter deutscher Waffenbrüderschaft mit den Ustaša-Faschisten“, der Jugoslawien zerstört habe.

Im völligen Gegensatz zu diesem krassen (und im Falle des BND wohl auch unbegründeten) Vorwurf steht Schillers Einschätzung Milošević-Serbiens Anfang der 1990er Jahre. Während er Flugblätter winziger kroatischer Emigrantengruppen zur Sensation aufbauscht, findet er über das „Memorandum“ zur Lage der Serben in Jugoslawien folgende Worte: „Von groß-serbischen Intentionen war zwar nicht die Rede, wohl aber kam eine deutliche Präferenz für das Fortbestehen Jugoslawiens zum Ausdruck.“ Herausgeber des Papiers war die Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste. Es ist das Geburtsdokument des neuen serbischen Nationalismus. An anderen Stellen kritisiert Schiller diesen Nationalismus durchaus. Aber er gesteht ihm nicht dieselben Strukturen, nicht denselben Einfluss zu wie dem kroatischen. Warum? Das bleibt – wie so vieles – rätselhaft.

Dabei gibt es in „Deutschland und ‚seine‘ Kroaten“ einige interessante Stellen. Etwa wenn Schiller die Ängste beschreibt, die die Ustaša-Symbole des sich Richtung Unabhängigkeit bewegenden Kroatiens 1991 bei den Serben des Landes auslöste. Oder seine Schilderung der völligen Ahnungslosigkeit der Regierung Kohl-Genscher in Sachen Balkan 1991.

Am Ende des Buches aber überwiegen die Fragen: Warum wussten Kohl und Genscher 1991 so wenig über Jugoslawien, wenn sie doch über den BND die kroatische Stasi in der Hand hatten? Waren in den 1990er Jahren auch andere Dienste auf dem Balkan aktiv? Was tat der jugoslawische Staat selbst beim Zerfall des Landes? Und: Warum hat Ulrich Schiller sein Wissen nicht viel früher in die Diskussion eingebracht?

Nicht nur Opfer

Dass Kroatien seit 1991 nicht nur harmloses Opfer war, ist nicht erst seit gestern bekannt. Kroatische Bürgerrechtler, kritische Journalisten und andere Angehörige der Zivilgesellschaft in der exjugoslawischen Republik haben bereits während des Krieges immer wieder auf autokratische Züge des Tudjman-Regimes hingewiesen – und diese genauso bekämpft wie die Kriegs- und Teilungspolitik, die die kroatische Regierung in Bosnien betrieb.

Vor allem aber hat sich Kroatien seitdem gewaltig gewandelt. „Deutschland und ‚seine‘ Kroaten“ vernachlässigt nicht nur diese Tatsache völlig. Umso bedauerlicher, dass gerade Ulrich Schiller Alterswerk nun die einzige deutschsprachige Monographie zur Rolle der Bundesrepublik beim Zerfall Jugoslawiens ist.

Ulrich Schiller: „Deutschland und ,seine’ Kroaten. Vom Ustaša-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus “. Mit einem Vorwort von Hans Koschnick. Donat Verlag, Bremen 2010, 228 S., 14,80 Euro