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Archiv-Artikel

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Mit ziemlicher Sicherheit gehört „Ekstase“ (1933) des tschechischen Regisseurs Gustav Machaty zu den Filmen mit der kompliziertesten Zensurgeschichte: Den jeweiligen Moralvorstellungen in verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Zeitepochen entsprechend wurde das bildmächtige und symbolträchtige Melodram immer wieder umgeschnitten, verstümmelt und mit nachgedrehten Szenen versehen. Was die Zensoren erregte, war zum einen natürlich eine – dezent – nackte Frau auf der Leinwand (die damals siebzehnjährige Hauptdarstellerin Hedy Kiesler) und zum anderen die „Unmoral“ des Plots: Da trennt sich die junge Eva von ihrem impotenten Ehemann Emil und findet in dem Ingenieur Adam alsbald einen virileren Liebhaber, mit dem sie nun auch die sexuelle Erfüllung erlebt – in der Liebesnacht zeichnet sich die titelgebende Ekstase deutlich auf ihrem Gesicht ab. Als sich Emil daraufhin das Leben nimmt, verlässt Eva jedoch auch ihren Adam; am Ende sieht man sie mit einem Kind. Für die Zensur war all dies in mehrfacher Hinsicht unannehmbar: Außerehelicher Orgasmus, Selbstmord und uneheliche Kinder wurden gemeinhin nicht von Staat und Kirche propagiert. Auch in Nazideutschland wurde der Film zunächst nicht freigegeben, konnte dann jedoch nach einigen Zensurschnitten ab 1935 für kurze Zeit unter dem Titel „Symphonie der Liebe“ gezeigt werden. Anscheinend interpretierte man die Geschichte im Sinne der „neuen Zeit“: Der Illustrierte Filmkurier betonte damals, dass der Film mit Bildern „edler Mutterschaft“ ausklinge. Die Nachkriegsfassung schließlich fügte dem Schluss noch eine Einstellung hinzu, die ein sich an den Händen fassendes Paar zeigt, das sich in einem See spiegelt: Happy End mit bürgerlicher Kleinfamilie. Den geschäftstüchtigen Gustav Machaty hat dies nicht gestört: Er gab allen durch Zensureingriffe veränderten Fassungen seinen Segen. Zu sehen ist der Film in der Reihe „Verboten – Filmzensur in Deutschland“ im Zeughauskino. (4.–5. 1., Zeughauskino)

Ein ebenso ungewöhnliches Melodram in einem ganz anderen Genre drehte der Regisseur Tod Browning mit „Freaks“ (1932). Von der Produktionsgesellschaft MGM als Konkurrenz zu Horrorfilmen à la „Frankenstein“ gedacht, hatte Browning die herkömmliche Wahrnehmung seiner auffälligen Zirkusdarsteller ins Gegenteil verkehrt: Während sich Pinheads, Siamesische Zwillinge, die Frau mit Bart und die Kleinwüchsigen als nahezu durchschnittlich normale Leute erweisen, sind in der Geschichte einer Trapezartistin, die aus purer Geldgier einen Liliputaner heiratet und seine Vergiftung plant, die Schönen und Starken die wirklichen Monster ohne Gefühlsregungen. (OF, 5. + 8. 1., Arsenal 2)