: Einige Ikonen der aktivistischen Kunst
KUNST „Love Aids Riot Sex“ in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst erinnert an die künstlerische Auseinandersetzung mit Aids
Etwa in Kniehöhe sind die Aufkleber von Steven Evans angebracht, man übersieht sie fast. „I will survive“ steht auf ihnen oder „You Sexy Thing“. Beinahe meint man, dazu die Songs durch die Ausstellungsräume hallen zu hören. In einer Ausstellung über die künstlerische Auseinandersetzung mit Aids bekommen die Disco-Hymnen, die auch Ausdruck schwuler Emanzipation waren, freilich eine düsteren Beigeschmack, ihre Titel einen unguten Doppelsinn. Denn die Aids-Epidemie brachte die hedonistische Feier eines neuen homosexuellen Selbstbewusstseins in der Nach-Stonewall-Periode zu einem jähen Ende.
Noch bis 5. Januar gibt es in der unbedingt sehenswerten Ausstellung „Love Aids Riot Sex 1“ in der Neuen Gesellschaft für bildenden Kunst (NGBK) einen Einblick, wie etwa die amerikanische Aktivistengruppe Act Up und ihre künstlerische Propaganda-Abteilung Gran Fury die Mittel der Kunst nutzten, um ihrer Wut darüber Ausdruck zu verleihen, wie Aids zunächst als Schwulenkrankheit abgetan und Vorbeugungsmethoden wie der Kondomgebrauch von den amerikanischen Institutionen unter dem Druck einer konservativen „Moral Majority“ totgeschwiegen wurden. Um die Darstellung der künstlerischen Auseinandersetzung mit Aids in den ersten Jahren nach Identifizierung des Aids-Virus geht es im ersten Teil der Ausstellung, ein zweiter Teil mit Arbeiten von 1995 bis zur Gegenwart folgt ab dem 17. Januar.
Ein Wiedersehen
Die NGBK hat sich immer wieder mit Aids als künstlerischem Sujet beschäftigt. In der Reihe „Unterbrochene Karrieren“ widmete man sich von 1997 bis 2003 Künstlern, deren Leben durch eine Aids-Erkrankung früh beendet wurde. Und bereits 1988 gab es „Vollbild Aids – eine Ausstellung über Leben und Sterben“. Dabei waren auch etliche der aktuell gezeigten Arbeiten schon zu sehen, zum Beispiel die Dia-Installation von Uwe Boek, die den Alltag von drei Aids-Patienten in einem schwarzweißen West-Berlin dokumentiert.
Einige der Arbeiten wie die Plakatarbeit von Gran Fury, die in der farbenfrohen Ästhetik der Benetton-Kampagne dieser Jahre drei knutschende Paare unterschiedlicher sexueller Orientierung zeigt, sind inzwischen zu Ikonen der aktivistischen US-Kunst geworden. Unter den Bildern steht: „Kissing doesn’t kill. Greed and Indifference do.“ Als die Plakate in amerikanischen Großstädten aufgehängt wurden, waren die meisten innerhalb weniger Tage von religiösen Fanatikern abgerissen oder beschmiert worden – so erinnert die Arbeit auch daran, wie tabuisiert sowohl Homosexualität wie auch Aids in den USA der 80er Jahren waren.
Leben, Sterben
In der Ausstellung zeigt die dokumentarische Dia-Serie „Marginal Waters“ von Doug Ischar auch noch einmal Bilder vom sorgenfreien schwulen Dolce Vita Anfang der 80er Jahre: Männer mit durchtrainierten Körpern räkeln sich an einem Strand, sie lesen Vanity Fair, trinken Evian-Wasser – an einem Brustwarzen-Piercing ist ein Luftballon festgebunden. Diese frohen Zeiten waren bald vorbei, nur einige Schritte weiter hat AA Bronson 1988 den körperlichen Verfall seines Freundes Jorge dokumentiert, der mit ausgemergeltem Gesicht und hervorstehenden Rippen wie ein KZ-Überlebender aussieht.
Nan Goldin hat den Arsenal-Filmkurator Alf Bold mit der Kamera beim Sterben begleitet, der Berliner Fotograf Jürgen Baldiga sich selbst. Und, man höre und staune, Künstler wie David Wojnarowicz gestalteten zu dieser Zeit Plakate für die Berliner Aids-Hilfe. Denn auch das zeigt die Ausstellung in der NGBK: Die Achtziger waren eine Zeit, in der man noch daran glaubte, dass die Kunst bei politischen und gesellschaftlichen Anliegen helfen könne. TILMAN BAUMGÄRTEL
■ „Love Aids Riot Sex 1“: NGBK, Oranienstr. 25, bis 5. Januar, tgl. 12–19 Uhr. Der zweite Teil der Ausstellung mit Kunst von 1995 bis heute wird am 17. Januar um 19 Uhr eröffnet