Brüsseler Rebe, 2006, kurz: Fusel

Holzpellets statt Fässer, Verschnitt mit Auslandsimporten, Marken statt Herkunftsbezeichnung auf dem Etikett – damit will die EU-Kommission den Wein an den internationalen Geschmack anpassen

AUS BERLIN SABINE HERRE

Königliche Porzellan-Manufaktur, Berlin-Tiergarten. Nur wenige hundert Meter von der WM-Fanmeile entfernt wird an diesem Sonntag ausnahmsweise nicht über Fußball geredet – sondern über Wein. Die Wein&Glas Compagnie hat zur „IV. Gala Großer Weine“ geladen, und von Avignonesi aus dem Chianti bis zu Zimmerling aus Sachsen sind Europas Starwinzer nach Berlin gekommen. Schon kurz nach Beginn ist auch in dem alten Fabrikgebäude kein Durchkommen mehr. Die Besucher, meist männlich und zwischen 35 und 45 Jahren, schlucken und spucken um die Wette.

Doch wer einen der rund 90 WinzerInnen nach der bevorstehenden Reform der EU-Weinmarktordnung fragt, erntet nur Schulterzucken. Und auch die Eichenholzchips, mit denen bald ganz legal der europäische Wein aufgepeppt werden darf, sind kein Thema. „Wir werden diese Chips nie verwenden“, sagt ein Vertreter des burgenländischen Weinguts Heinrich, und das Weingut Vallone aus Apulien schließt sich an: „Die industriellen Erzeuger haben die Zulassung der Chips durchgesetzt, doch uns ist das egal, wir setzen allein auf Qualität.“

Unter Europas Starwinzern scheint eine erstaunliche Gelassenheit und Zuversicht zu herrschen. Der teuerste Wein an diesem Nachmittag ist ein hauchzarter 1989er Chambolle-Musigny für 268 Euro, der Durchschnitt der Weinpreise liegt bei 15 bis 25 Euro. Klagen über Absatzprobleme sind nicht zu hören.

Europäisches Haus, Berlin, Unter den Linden, vier Tage später. Bei einer Pressekonferenz, die per Video auch nach München und Bonn übertragen wird, präsentiert die EU-Kommission an diesem Donnerstag die „tief greifende Reform“ ihrer „Gemeinsamen Marktorganisation für Wein“. Und hier ist über die Lage des europäischen Weins ganz anderes zu hören als in der Porzellan-Manufaktur. Verbrauch, Produktion und Export gingen seit Jahren zurück, ja, für die EU, mit 60 Prozent Marktanteil weltgrößter Weinproduzent, bestünde gar die Gefahr, zum Nettoimporteur zu werden. Auch den Schuldigen für diese Entwicklung kennt Brüssel: Die Produzenten in der „Neuen Welt“, deren Weine „eindeutig besser auf den Geschmack eines Teils der Verbraucher“ ausgerichtet seien.

Daher schlägt die EU-Kommission vor, Europas Weine künftig klar in zwei Kategorien zu teilen: „Weine mit geografischer Angabe“ und solche, die nicht mehr verraten, woher sie kommen. Der Grund für die Aufteilung wird aus den weiteren Vorschlägen der EU klar: Weine aus Drittstaaten könnten künftig mit EU-Weinen verschnitten werden, für diese Weine würde zudem erlaubt, Rebsorte und Jahrgang aufs Etikett zu schreiben. Und auch mehr Markennamen soll es in Zukunft geben. Auf diese Weise kopiert die Kommission das Erfolgsrezept der industriellen US-Erzeuger: Weine, die dank weitreichender Verschnittmöglichkeiten jedes Jahr gleich schmecken, zur einfachen Wiedererkennung einen eingängigen Namen und eine klare Rebsortenbezeichnung tragen und dank den Billigimporten zudem noch extrem günstig sind.

Otto Geisel, Präsident von Slow Food Deutschland, hält diese Orientierung an den Weinen aus den USA für grundsätzlich falsch: „Wie bei vielen anderen Produkten wird Europa den Wettlauf mit den Billiganbietern nicht gewinnen können. Durch die Vorschläge aus Brüssel werden unsere Weine austauschbar. Wir müssen stattdessen auf eigenes Profil und Qualität setzen.“

Und auch ein anderer Vorschlag der Kommission wird die Wettbewerbsfähigkeit kaum verbessern: das Verbot der Aufzuckerung. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Bordeaux und Burgund wird durch Zuckerzusatz der Alkoholgehalt der Weine um bis zu 3,5 Prozent erhöht. Brüssel will das verbieten und verfolgt damit gleich drei Ziele: Zum einen wünsche der Verbraucher Weine mit niedrigem Alkoholgehalt, zum anderen sei weniger Alkohol gut für die öffentlichen Sicherheit, und drittens spare man so auch noch jede Menge Ausgleichszahlungen an Länder, die keinen Zucker einsetzen dürfen.

Doch auch der Deutsche Weinbauverband hat gleich mehrere Argumente für die Aufzuckerung parat. Geschäftsführer Rudolf Nickenig: „Einerseits setzt die EU auf Liberalisierung der önologischen Verfahren, andererseits verbietet sie eine jahrhundertealte Weinbaumethode. Und: Im Abkommen mit den USA hat die EU Importe von aufgezuckerten US-Weinen erlaubt.“ Zudem werden deutsche Weine nun teurer. Denn die Anreicherung mit Traubenmost soll nur reduziert, nicht aber verboten werden, diese Methode aber ist dreimal so teuer wie die Aufzuckerung.

Da ein Wein mit wenig Alkohol, zusammengemischt aus ansonsten unverkäuflichen Mosten, aber ja auch noch schmecken muss, will Brüssel künftig schneller neue önologische Verfahren genehmigen, wie sie auch die OIV, die internationale Weinorganisation, erlaubt. Konkret heißt das: die Verwendung von Eichenholzchips ist nur der Anfang, weitere Panschereien werden nicht lange auf sich warten lassen.

Bei der Reform geht es natürlich auch ums Geld. 1,26 Milliarden Euro gibt die EU bisher jedes Jahr für ihren Weinbau aus, und dies soll auch so bleiben. Nur anders verteilt werden sollen die Subventionen. So erhalten vor allem südeuropäische Winzer bisher über 500 Millionen Euro für die Lagerung und Destillation von überschüssigem Wein. Damit soll nun die geplante Rodung von mehr als zehn Prozent der Weinberge in der EU unterstützt werden: Insgesamt 2,4 Milliarden Euro sind für 400.000 Hektar Flächenstilllegung in den nächsten fünf Jahren vorgesehen.

Was auf den ersten Blick als sinnvolle Reduzierung der EU-Überproduktion erscheint, stößt bei den Winzern in der Porzellan-Manufaktur auf Ablehnung. Reinhard Löwenstein aus Winningen etwa fürchtet, dass zuerst wohl die Steillagen an der Mosel stillgelegt würden. Denn diese sind besonders arbeits- und kostenintensiv – liefern aber einige der besten Weine Europas.