: Sie stürmen, weil sie sich stark fühlen
VORBEREITUNG Die Südamerikaner haben schon fast wissenschaftlich auf die WM hingearbeitet. Während der Qualifikation waren auch die kleineren Teams stark. Sie fühlen sich unterrepräsentiert in der Fifa. Für die Zukunft fordern sie mindestens fünf WM-Plätze
Dunga, Trainer Brasiliens
ANDREASS RÜTTENAUER
Leo Beenhakker ist sich sicher. Der Weltmeister wird aus Südamerika kommen. Beenhakker, der Weltreisende in Sachen Fußball, der vor vier Jahren Trinidad und Tobago zur WM geführt hat, ist als Experte für das niederländische Fernsehen in Südafrika. Er sei erstaunt, sagt er, über den guten Zustand, in dem sich die Mannschaften aus Südamerika befinden würden. Die großen zwei, Argentinien und Brasilien, dazu Chile, Uruguay und Paraguay. Alle fünf südamerikanischen Teams haben sich für die K.o.-Runde qualifiziert. Das gab es noch nie. Und Uruguay steht gar schon im Viertelfinale.
Leo Beenhakker hat das erwartet. Noch nie sei die Qualifikationsrunde in Südamerika so ausgeglichen gewesen. „Früher gab es die großen Überraschungen nur dann, wenn eine Mannschaft aus Brasilien oder Argentinien im Hochland von Bolivien spielen musste.“ Das sei vorbei. Zwar hat am Ende mit Brasilien doch der große Favorit die Qualirunde gewonnen. Doch lange hat Paraguay die Rangliste angeführt. Und die Qualifikation Chiles war auch beinahe nie gefährdet.
Beenhakker hat hier keinerlei Verständnis für die oft zu hörenden Klagen der europäischen Vereins- und Nationaltrainer, die sich über den dichten Terminkalender im internationalen Fußball beschweren. Die Südamerikaner, meint er, seien auch deshalb taktisch so diszipliniert und aufeinander abgestimmt, weil sie 18 Spiele in der Qualifikation zu spielen hatten, während die Europäer nur zehn Mal antreten mussten.
Auch Sven-Göran Erikson, der ehemalige englische Nationaltrainer, der mit der Auswahl der Elfenbeinküste bei diesem Turnier früh gescheitert ist, ist erstaunt über die starken Auftritte der Südamerikaner. Auch er erklärt das mit der harten Qualifikation. Früher seinen die Teams oft ohne besondere Vorbereitung in die Spiele in großer Höhe gegangen. „Die Vorbereitung ist inzwischen viel professioneller geworden, beinahe wissenschaftlich“, sagt er. Die Höhenunterschiede in Südafrika, wo ein Spiel auf Meereshöhe stattfindet und das nächste in einer Höhe von 1.500 Metern, seien im Vergleich dazu beinahe „lächerlich“. Dass Argentinien in der Quali gegen Bolivien in La Paz auf 3.600 Meter Höhe mit 1:6 verloren hat, wäre demnach so etwas wie die Ausnahme von der Regel.
Stolz präsentiert sich in diesen Tagen der südamerikanische Fußball. Die Pressevertreter aus aller Welt wurden vom Kontinentalverband Conmebol mit dicken Bildbänden beschenkt, in denen die fußballerischen Erfolge des Kontinents gefeiert werden. Nicolaz Leoz, der Präsident von Conmebol, fordert nun fünf feste Qualifikationsplätze für Südamerika. Bis jetzt sind es nur viereinhalb. Der Fünfte der Südamerika-Qualifkation musste sich in der Relegation gegen einen Vertreter aus Nord- und Mittelamerika für die WM qualifizieren. Uruguay musste diesen Umweg gehen und Costa Rica aus dem Weg räumen. Daran erinnert man sich im Team gar nicht mehr gerne.
Diego Forlán, Uruguays Starstürmer findet seinen Kontinentalverband jedenfalls unterrepräsentiert bei der Fifa-WM. „Mindestens fünf“ Mannschaften aus Südamerikas fordert er für die nächsten Weltmeisterschaften. „Wir sind es doch, die die europäischen Ligen so stark machen“, sagt er.
In der Tat stehen auch in den Kadern der kleineren südamerikanischen Teams immer mehr Spieler, die in Europa unter Vertrag stehen. 12 der 23 Spieler, die der argentinische Trainer der chilenischen Nationalmannschaft, Marcelo Bielsa, für die WM nominiert hat, spielen in Europa. Uruguay bietet 15 Europäer auf, Paraguay immerhin neun. Auch Carlos Dunga, Brasiliens Trainer, der heute Abend (20.30 Uhr) in Johannesburg selbst erfahren darf, wie gut Chile spielt, hat das registriert. „Die großen Namen haben schon lange nicht mehr automatisch auch die großen Mannschaften.“
Das Ausschwärmen der besten Spieler nach Europa befreit die Spieler aus Südamerika zudem von den notorisch schwierigen Verhältnissen in den Heimatligen. Der Streit um die Vergabe der TV-Rechte hätte in Argentinien und Uruguay beinahe zur Absage der gesamten Saison geführt. In Argentinien sorgte am Ende der Staat dafür, dass die Liga dann doch im Fernsehen gezeigt wurde. Die wichtigsten Spieler der Nationalmannschaften blieben unberührt von solchen Diskussionen. Sie gingen ihrer Arbeit ja in Europa nach. Dort verdienen sie so gut, dass auch die früher immer so peinlichen Prämienstreitigkeiten ausblieben.
Auch Leo Beenhakker führt den südamerikanischen Sweep auf die Europäisierung der Mannschaften zurück. „Die Spieler kommen taktisch gut ausgebildet zu den Nationalmannschaften“, sagt er. So gebe es immer mehr Spieler, die mit dem sicheren Wissen um die eigene Stärke zur WM fahren als früher.
Das sei auch, so Beenhakker, der Grund dafür, warum Mannschaften wie Chile, Paraguay oder Uruguay sich nicht mehr einmauern, sondern auch mal drei Stürmer aufs Feld schicken. Sie stürmen, weil sie sich stark fühlen.