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Archiv-Artikel

Auf schwankendem Boden

NATIONALSOZIALISMUS Mit der Arisierung des Kunstbetriebs und seinen Langzeitfolgen beschäftigt sich das Jüdische Museum Frankfurt

Die Moderne sollte als krank und zersetzend diffamiert werden, unter anderem durch Vergleiche mit Werken von Psychiatriepatienten oder mit Masken aus Übersee

VON URSULA WÖLL

Auf ihrem „Selbstporträt mit Katze“ malt sich Lotte Laserstein 1921 mit Bubikopf, Malkittel und Katze auf dem Arm vor ihrer Staffelei. Konzentriert und selbstbewusst schaut sie in einen Spiegel außerhalb des Bildes und nimmt so Blickkontakt mit den Betrachtern auf. Die altmeisterliche Technik des Porträts verrät eine solide Ausbildung. Die junge Künstlerin wurde langsam bekannt, erste Ankäufe durch Museen erfolgten. Doch dann zerstörte das Nazi-Regime ihre berufliche Perspektive. Nach den Kriterien der Nürnberger Rassegesetze war Lotte Laserstein „Dreivierteljüdin“. Sie erhielt Malverbot, durfte keiner Künstlervereinigung beitreten, die Museen mussten ihre Bilder herausgeben. Und das alles, obwohl sie keineswegs avantgardistisch malte.

Die Künstlerin emigrierte 1938 nach Schweden. Dort halfen ihr die Porträtaufträge der Familie Trolle, Fuß zu fassen. Auch diese wunderbaren Ölbilder, etwa „Der gelbe Schal“, orientieren sich eher an der Malerei des 19. Jahrhunderts.

Lasersteins Selbstporträt gegenüber hängt im Jüdischen Museum in Frankfurt ein Schlachtengemälde des von den Nazis hochgeschätzten Malers Werner Peiner, durchaus gekonnt mit altmeisterlichen Anklängen gemalt. Auf den ersten Blick kann man nicht erkennen, wer nun von beiden Künstlern vom NS-Regime anerkannt und wer als „entartet“ diffamiert wurde.

Die gemischte Hängung von verfemter Kunst und Nazikunst zieht sich durch die gesamte Ausstellung „1938. Kunst, Künstler, Politik“. Irritierend wirkt auch der unebene Fußboden aus Teppichstücken unterschiedlichster Höhe. Er symbolisiert die Situation jüdischer Künstler, denen ab 1933 der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, und er versetzt die Besucher ebenfalls auf schwankenden Boden. Denn diese Ausstellung des Jüdischen Museums will verunsichern. Sie möchte die bisher gängige Vorstellung korrigieren, im Zentrum der nationalsozialistischen Kunstpolitik habe die Verfolgung und Ausgrenzung der Avantgarde gestanden.

Dem Hass auf innovative Strömungen war das Ziel übergeordnet, den Bereich der Kunst von allem Jüdischen zu „reinigen“. Das oberste Ziel war also, „restlos zu kontrollieren, wer am Kunstbetrieb teilnahm“, schreibt Raphael Gross, der Leiter des Jüdischen Museums und des Fritz Bauer Instituts, im Begleitbuch. Die Zensoren des Regimes achteten demnach vorrangig darauf, welche Personen agierten. Noch vor ästhetischen entschieden „ rassebiologische“ Kriterien über die Verfemung eines Werkes, so das Fazit.

Das Schicksal der Lotte Laserstein ist ein Beispiel für diesen Wahn. Wie heftig die NS-Kunstpolitik aber auch gegen neue Malstile der Moderne wütete, wird etwa am Fall Emil Nolde deutlich, den Stefan Koldehoff im Begleitband darstellt. Der nichtjüdische Maler Nolde erhielt trotz seiner antisemitischen Grundhaltung und regimetreuen Ergebenheitsadressen Malverbot, und seine farbintensiven Gemälde waren gleich 48-mal in der Ausstellung „Entartete Kunst“ vertreten. Daher leuchtet die behauptete Hierarchie der Nazi-Kriterien zunächst nicht ein, bis man versteht, dass auch die diffamierte Ästhetik mit einer „Verjudung“ der Kunst gleichgesetzt wurde.

Bislang galt das Jahr 1937 als Zäsur, denn die unsägliche NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ begann 1937 ihre Tour durch die deutschen Großstädte. Sie zeigte Hunderte von Werken der Avantgarde, die aus den Museen entfernt worden waren oder aus Raub und Zwangsversteigerungen jüdischer Sammlungen stammten, aus denen sich die Nazi-Größen freilich zuerst bedienten.

Die Moderne sollte als krank und zersetzend diffamiert werden, unter anderem durch Vergleiche mit Werken von Psychiatriepatienten oder mit überseeischen Masken. Obwohl die meisten der „entarteten“ Künstler gar keine Juden waren, wurden die Exponate pauschal als „verjudet“ diffamiert. Die zeitgleich beginnende Große Deutsche Kunstausstellung zeigte, wie eine gesunde, „arische“ Nazikunst auszusehen habe. Trotzdem definiert nun die aktuelle Ausstellung das Jahr 1938 als das eigentliche Katastrophenjahr, weil sie den Kunstbetrieb mit Museen, Kunstmarkt und Kunstkritik insgesamt betrachtet. Seine restlose „Arisierung“ war erst Ende 1938 vollzogen.

Kunsthändler zusammengeschlagen

Das Schicksal des jüdischen Kunsthändlers Hugo Helbing, der angesehene Auktionshäuser in München, Frankfurt und Berlin besaß, steht beispielhaft dafür. Der 75-Jährige wurde in den November-Pogromen von 1938 so schlimm zusammengeschlagen, dass er Tage später an den Verletzungen starb. In seiner Frankfurter Dependance war 1939 die Schau „Entartete Kunst“ zu sehen. Auch der getaufte Direktor des Frankfurter Städel, Georg Swarzenski, musste wegen seiner jüdischen Herkunft gehen. Er emigrierte 1938.

Der liberalen jüdischen Kunstkritikerin und Journalistin Luise Straus-Ernst, Ex-Ehefrau von Max Ernst, blieb ebenfalls, wie so vielen anderen, nur das Exil. Ein eindrucksvolles Porträtfoto von August Sander, aus dem sie uns mit ihrem Sohn Jimmy frontal anschaut, erinnert an sie, die 1944 aus Frankreich deportiert und in Auschwitz ermordet wurde. 1940 wurde die expressionistische Malerin Elfriede Lohse-Wächtler in Pirna-Sonnenstein ermordet, nachdem sie zwangssterilisiert und jahrelang in der Psychiatrie weggesperrt war. Schon zuvor waren neun ihrer Gemälde aus Museen entfernt worden.

„Am Ende des Jahres 1938 war der Ausschluss aller Juden aus dem Kunstbetrieb lückenlos durchgesetzt“, schreibt Julia Voss, Kunstredakteurin der FAZ, die die Ausstellung konzipierte. Die jüdischen, aber auch die politischen und unangepassten Künstler waren vertrieben, verhaftet, weggesperrt oder ermordet, die Museen und Auktionshäuser von „fremdrassigen Machwerken gesäubert“ und in „arischer“ Hand, die regimekritischen Töne in den Feuilletons verstummt.

Die Ausstellung „1938. Kunst – Künstler – Politik“ legt Wert auf den erweiterten Blickwinkel, weil sich der bisherige Fokus der Kunsthistoriker auf die angeprangerte Ästhetik der Moderne und damit auf das Jahr 1937 sogar auf die Zeit nach 1945 auswirkte. Die zuvor verfemten avantgardistischen Strömungen, etwa Brücke und Blauer Reiter, wurden schnell rehabilitiert, um Schuldgefühle abzutragen und durch nahtloses Anknüpfen an die Weimarer Republik das Geschehene zu verdrängen.

Jüdische Künstler dagegen wurden weniger wahrgenommen, besonders wenn sie keiner Kunstströmung zuzuordnen waren. Sie hatten es schwerer, sich im Nachkriegs-Kunstbetrieb wieder zu positionieren oder ausgestellt zu werden. So etwa fehlten der Maler Jankel Adler ebenso wie die ermordeten Künstler Otto Freundlich und Felix Nussbaum auf der documenta 1 von 1955. Das kann die Frankfurter Ausstellung nur in Wandtexten des Epilogs konstatieren, aber aus Platzmangel leider nicht museal verifizieren.

Bis 23. Februar, Jüdisches Museum, Frankfurt, Begleitband (Wallstein-Verlag), 24,90 Euro