Alle Anwesenden lassen die Hüllen fallen

Eine ziemlich wilde Kinorevue aus der Zeit, als das Ausziehen noch geholfen hat: „Lady Henderson präsentiert“, der neue Film von Stephen Frears

Mit der Museumseisenbahn zurück in eine Zeit, in der man sich was erwarten konnte, oder, lustiger noch, mit einem Museumsmusical zurück ins „Goody Goody“ (Benny Goodman) der Dreißigerjahre. Regisseur Stephen Frears („Mein wunderbarer Waschsalon“) präsentiert „Lady Henderson präsentiert“, „die schrecklichste rechtsgesinnte Frau, der totale Schocker, aber ich habe Respekt davor, das nicht zu Verteidigende zu verteidigen“ (Frears). Lady Henderson also (Judi Dench), reich, adlig, spleenig, kauft Anfang der Dreißigerjahre im Vorbeigehen ein leerstehendes Theater in Soho und setzt den Direktor (Bob Hosskins) darauf an, daraus das „Revuedeville“ zu machen. Sie wird die Heldin des Theaters und des Films, ob wir das wollen oder nicht. Hassliebe ist das wohl, und genau so eine Beziehung pflegen die snobistische Lady und ihr jüdischer Manager.

Sie sagt ihm auf den Kopf zu, dass er Jude ist. Er möchte sich bedeckt halten. Aber es kommt der Moment der Wahrheit. Um die Geschäfte zu beleben, führt die Dame die ersten Nacktrevuen in Großbritannien ein, und um der Truppe dies zu erleichtern, lassen alle Anwesenden, Bob Hoskins einschließlich, die Hüllen fallen. Frau Henderson besichtigt dessen private Teile und konstatiert: „Wusste ich’s doch, Jude!“

Wie find ich das? Warum ist das komisch? Es mag an der überwältigenden Statur von Judi Dench liegen, dass man ihr abnimmt, was nicht abzunehmen ist. Andererseits glaubt man schon, dass sie eine historische Figur nachspielt, die den Geist der Dreißigerjahre transportiert. Juden waren eine Klasse unterhalb des Adels. Klassendenken war nicht zwingend Rassenwahn.

Lady Henderson, die historische, versündigt sich erfolgreich gegen die geltenden, viktorianischen Werte ihrer Klasse, und ihr gelingt dies, weil sie dazugehört. Darum kann sie, wenn Assistent Will Young sich nach nur leichtem Zögern als schwul outet, sagen: „How delicious!“ Und wenn der offen humorlose Oberzensor (Christopher Guest) einschreitet, ihm den Kompromiss abringen: Wenn nackt, dann still.

Ja, so soll’s gelaufen sein, und wir fiebern mit und lachen jetzt über den Repräsentanten der prüden Zunft. Und ich hab mitgelacht, wohl wissend, dass die Zwänge der geltenden Werte nur deshalb gelockert werden konnten, weil man in der Oberklasse seine Beziehungen hatte. Bei den Arbeitern gab’s den Plan B nicht.

Auf der Bühne gibt’s jetzt Stills nackter Meerjungfrauen, Rothäute oder der Annie Oakley, Britannia, dann, wir haben 1940, „Babies of the Blitzkrieg“, nackt, oder Marianne in klassischer Pose: aux armes, citoyens. – Der Krieg wird durch die Revuen des Windmill-Theaters erzählt, „it never closed“, buchstäblich im Underground. Immerhin wird die Realität beglaubigt durch eingeschnittenes Dokumentarmaterial: Hitler in Paris. Die Wehrmacht marschiert durch den Triumphbogen. Deutsche Bomben verwüsten Soho. Irgendwann fällt auf, dass „Lady Henderson präsentiert“ keinen Plot hat, wohl aber Nummern. Das sollte in einem Revuetheater aber nicht verwundern. So tritt immer wieder, gern, wenn die Girls weg sind, der sich geoutet habende Assistent Will Young auf und singt solo im Stil der Dreißigerjahre, beziehungslos, aber brillant. Er ist heute Superstar von „Großbritannien sucht den Superstar“ und damit Pop-Idol, Platinkünstler und alles für die MTV-Generation („Friday’s Child“ anderthalb Millionen Mal verkauft). Wow, passt irgendwie nicht recht zum Film, wohl aber für die Kalkulation.

Ein Wort zum Schluss. Wenn der Film die Perspektive der zickigen, aber repräsentativen Lady Henderson einnimmt, dann schließt er den Blick auf die dort arbeitenden Tänzerinnen aus. Zehn Jahre Recherche für den Film haben massenhaft Zeitzeugenaussagen erbracht. Davon ist aber abgesehen von der Hautpflege (niemals Sonne drauf) und dem Augenbrauenzupfen (Dreißigerjahre ziemlich viel, Vierzigerjahre dann weniger) nicht allzu viel in den Film gekommen. Die nackten Tänzerinnen waren fast noch Kinder. 15 Jahre waren die meisten, als sie anfingen. Der Film sieht das nicht mit deren Augen. „Das ist nicht mein Thema.“ Ja, ist es nicht. Passt nicht zum gehobenen Boulevard und zur Theatersprache. In der Tat hören wir – ich sah den Film in der Originalversion – gehobene Bühnensprache im akzentuierten Einheitslevel, pardon im aristokratisch näselnden Sprachcode der Upperclass. Ist historisch korrekt, weiß ich doch. DIETRICH KUHLBRODT

„Lady Henderson präsentiert“. Regie: Stephen Frears. Mit Judi Dench, Bob Hoskins u. a. Großbritannien 2005, 103 Min.