: Holger kommt noch
Die Sieger des BR-Hörstück-Wettbewerbs „Weekend 2006“ stehen fest – die „Verlierer“ sind auch spannend
Und die Gewinner sind: Dirk Hardegen, Ingo Sasgen und Stephan Flommersfeld! Die Produktionen der Sieger des Hörstück-Wettbewerbs „Weekend 2006“ werden am 1. September in der Sendung „hör!spiel!art!“ in Bayern2Radio präsentiert und sind unter www.br-online.de als Podcast verfügbar.
Auch die nicht prämierten Einreichungen stehen glücklicherweise zum Download bereit: „Ich wollte Bescheid sagen, dass ich jetzt gerade im Büro eingetroffen bin.“ So lautet einer der O-Töne, die der Berliner Hörspielautor Martin Conrads für sein dreiminütiges Hörstück „gleich stürmen, alle schlafen“ dem eigenen Anrufbeantworter entnommen hat. Andere kommen direkt aus dem TV, ungenannten Büros, Kinderzimmern und von der Straße.
Was soll eigentlich gestürmt werden? Der Ort bleibt unbestimmt – es könnte ein Saturn-Markt wie ein Tokyo-Hotel-Konzert sein – der Zustand des Aufbegehrens wird absichtlich in der Schwebe gehalten. Conrads gehört zu den fünf Autoren, die Barbara Schäfer, Dramaturgin beim Bayrischen Rundfunk, dazu eingeladen hatte, für das legendäre Hörstück „Weekend“ von Walter Ruttmann drei jeweils dreiminütige Entsprechungen in unserer Gegenwart zu finden. Ruttmann, eigentlich Filmemacher, war 1930 durch Berliner Fabriken, Kaufhäusern und Parks gezogen um das Audioporträt eines typischen Berliner Wochenendes aufzunehmen.
Was klingt also anders im Jahr 2006? Aus den Alltagsmontagen von Conrads und auch Antje Vowinckels lassen sich entscheidende gesellschaftliche Veränderungen heraushören: die Flexibilisierung der Arbeitswelt, Migration, neue Kommunikationsapparate („ich höre dich nicht“), Privatfernsehen (Astrosendungen) und die Tendenz zu einer gleichberechtigten Rollenverteilung („Samstag? Mama kommt erst am Sonntag!“).
Auch im Beitrag Hermann Bohlens gibt es Risse in der Mittelschicht: Für die von ihm zynisch wie behäbig betitelte Geschichte „Gesellige Runde I“ baut er typische Gesprächsfloskeln hintereinander, wiederholt, woraus kein Gespräch entstehen mag. „Setzt euch hin, ihr Lieben“, „Hinsetzen, bitte!“, „Holger kommt noch“, „Und wenn der Holger dann kommt, dann kommt der Holger“. Aber Holger kam nicht mehr.
Damals, zu Ruttmanns Zeiten, als auch Siegfried Kracauer die neue Berliner Angestelltenkultur skeptisch beobachtete, kam das Wochenende in Mode. Heute ist dessen Mythos verblasst – Arbeit und Freizeit sind nicht mehr so klar voneinander zu unterscheiden. Inzwischen haben auch die öffentlich-rechtlichen Radiosender gemerkt, dass die Tage ihrer Hörer unregelmäßiger verlaufen. VERA TOLLMANN