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Archiv-Artikel

Militärputsch auf Raten

Mahmud Ahmadinedschad verdankt seinen Wahlsieg der schrittweisen Machtübernahme von Geheimdienst und Armee

VON BAHMAN NIRUMAND

Einmal platzte Mohammed Chatami der Kragen. Er sei doch nur der „Dienstbote“ der Instanzen außerhalb der Regierung, klagte der Vorgänger des jetzigen iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Und in gewisser Weise hatte Chatami recht: Gerade die vom Volk gewählten Instanzen der „Islamischen Republik“ wie der Staatspräsident und das Parlament sind im Vergleich zu denen, die von Revolutionsführer Ali Chamenei ernannten werden, wie etwa der Wächterrat, die Justiz et cetera, mit weit geringerer Macht ausgestattet.

Formal gesehen hat Ahmadinedschad, der vor einem Jahr zum neuen Staatsoberhaupt gewählt wurde, nicht mehr Macht als sein Vorgänger Chatami. Aber in der Praxis verhält es sich ganz anders. Der Grund liegt darin, dass Chatami vorwiegend von der iranischen Zivilgesellschaft, organisiert in abertausenden regierungsunabhängigen Organisationen, gewählt wurde: von Frauen, Jugendlichen, Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern, die die Sehnsucht nach mehr Freiheit einte.

Ahmadinedschad hingegen verdankt seinen Wahlsieg den Revolutionswächtern, paramilitärischen Organisationen, Geheimdiensten, der Milizenorganisation der Basidschis, den radikalislamistischen Organisationen und den unaufgeklärten Massen von Barfüßigen und Habenichtse. Diese Kräfte bilden den eigentlichen Kern des Gottesstaats.

Blickt man auf die letzten Jahre zurück, stellt man fest, dass diese Kräfte, aufgeschreckt durch den unerwarteten Wahlsieg Chatamis 1997, bereits damals begannen, sich zu reorganisieren, um die Macht zurückzuerobern, und zwar die ganze Macht. Ihr Kampf richtete sich jedoch nicht allein gegen die Reformer, sondern ebenso gegen jene Konservativen, die seit zwei Jahrzehnten die Zügel des Staates in der Hand hielten, durch Korruption und Intrigen einen enormen Reichtum angehäuft und sich inzwischen weit von den Idealen der Revolution entfernt hatten.

Die Mittel der Radikalislamisten waren: Terroranschläge, die Sprengung von politischen Versammlungen und Überfälle auf Zeitungsredaktionen und Verlage. Das islamistische Gedankengut wurde verbreitet auf Flugblättern, Tonbändern und Internetseiten. In ihnen wurden nicht nur die USA, Israel und der Westen insgesamt, sondern auch Reformer und moderate Konservative zu Feinden erklärt. All dies bildete den Auftakt zum Neuaufbau des islamistischen Gottesstaates.

Diese Radikalislamisten, die sich als „Etelaf-e Abadgaran“ (Koalition der Aufbauenden) bezeichneten, errangen ihren ersten Etappensieg bei den Kommunalwahlen 2003. Sie profitierten von der Wahlverweigerung der von den Reformern schwer enttäuschten Wähler und eroberten die meisten Kommunen. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung bei 13 Prozent. Hier wurde Ahmadinedschad, dem Volk nahezu völlig unbekannt, zum Bürgermeister gewählt. Im Jahr 2004 folgten die Parlamentswahlen, bei denen die Islamisten durch massive Wahlmanipulationen die absolute Mehrheit errangen. Ähnlich war es 2005 bei den Präsidentschaftswahlen, aus denen Ahmadinedschad als Sieger hervorging. Sein Konkurrent bei der Stichwahl war nicht etwa ein Reformer, sondern der zu den Konservativen zählende Exstaatspräsident Haschemi Rafsandschani, der nach Chomeini der mächtigste Mann des Gottesstaates war.

Was die Abadgaran nach der Wahl Chatamis und erst recht zwischen 2003 und 2005 veranstaltet haben, war nichts als ein schleichender, als legal kaschierter Militärputsch, der inzwischen beinahe zum Machtmonopol geführt hat. So gesehen ist es nicht erstaunlich, dass über die Hälfte der Kabinettsmitglieder Ahmadinedschads aus Kreisen der Militärs und Geheimdienste stammen. Zudem hat der neue Regierungschef nach der Amtsübernahme die gesamte Staatsführung und sämtliche leitende Stellen im Staatsapparat mit Kampfgefährten und ideologisch verwandten Brüdern und gelegentlich auch Schwestern neu besetzt.

Das ist eine ganz andere Machtposition als die, die Chatami innehatte. Verfassung hin, Verfassung her. Entscheidend ist die reale Macht, auf die sich Ahmadinedschad heute stützen kann. Und die beschränkt sich nicht allein auf Militärs und Geheimdienste. Die Mehrheit des mächtigen Wächterrats unterstützt den Staatspräsidenten. Dessen Vorsitzender, Ajatollah Ahmed Dschannati erklärte kürzlich beim Freitagsgebet, Ahmadinedschad sei ein „mächtiger, frommer“ Mann, „er ist gleichzusetzen mit der Ehre der ganzen Nation, mit der Ehre des Islam“. Dessen Brief an Präsident Bush bezeichnete Dschannati als „außergewöhnlich“, als eine „Offenbarung Gottes“.

Damit nicht genug. Hinter Ahmadinedschad steht ein ideologisches Netzwerk, dessen eigentlicher Kopf Ajatollah Mesbah Jasdi ist. Jasdi, der allgemein als Ziehvater Ahmadinedschads bezeichnet wird, residiert in der heiligen Stadt Ghom. Er leitet das Lehr- und Forschungsinstitut Imam Chomeini. Dieses aus Staatsgeldern und Spenden finanzierte Institut bildet das ideologische Zentrum der Radikalislamisten. Viele meinen, dass Präsident Ahmadinedschad und die meisten seiner Regierungsmitglieder Marionetten seien, deren Fäden bei Jasdi zusammenlaufen. Der Regierungschef wurde sogar schon mehrfach im Parlament kritisiert, weil er zu oft, fast jede Woche einmal, nach Ghom pilgere, um Jasdi zu treffen.

Jasdi ist vermutlich der radikalste Verfechter eines reinen, von republikanischen Elementen gesäuberten Gottesstaates. Während einer Predigt in Ghom erklärte er: „Das Wort Republik ist nur eine Schale, die damals bei der Gründung in die Bezeichnung des Gottesstaates aufgenommen wurde. Diese Schale ist nicht echt, sie ist bar jeden Inhalts.“ Im Gottesstaat gehe die Macht nicht vom Volk aus, sondern vom dem geistlichen Führer, der seine Anweisungen von Gott empfange, meint Jasdi. Ahmadinedschad folgt dieser Sichtweise, vermeidet die offizielle Bezeichnung und spricht – trotz massiver Kritik – immer vom islamischen Staat.

Bleibt die Frage, wie stabil die Regierung Ahmadinedschads ist. Entscheidend ist, dass der Präsident neben der Zivilgesellschaft auch die überwiegende Mehrheit im islamischen Establishment gegen sich hat: die mächtigen Ajatollahs, die immer noch über eine große Hausmacht verfügen, die erfahrenen Kader, von denen zehntausende seit der Machtübernahme der Islamisten gefeuert wurden, und die wirtschaftlichen Giganten, die durch seine Politik, insbesondere seine Außenpolitik, ihre Interessen gefährdet sehen.

Nicht zu unterschätzen sind schließlich die Attacken von außen. Neben den Drohungen mit Wirtschaftssanktionen oder militärischen Maßnahmen laufen schon seit geraumer Zeit vielseitige Aktionen, die Washington mit dem Ziel eines Regimewechsels im Iran durchführt. Dazu gehören dutzende Fernseh- und Rundfunkprogramme in persischer Sprache im Ausland, die Millionen Zuschauer und Hörer im Iran erreichen und sie zum Widerstand ermuntern sollen. Dazu zählt auch die finanzielle Unterstützung eines Teils der iranischen Opposition im Ausland, wofür zuletzt nach offiziellen Angaben 78 Millionen Dollar eingesetzt wurden. Schließlich kommen dazu bereits erfolgreiche Versuche, ethnische Differenzen im Vielvölkerstaat Iran anzustacheln.

Dennoch: Am Ende helfen nur Kooperation statt Konfrontation. Die Eskalation des Atomkonflikts zum Beispiel würde die Position der Radikalislamisten stabilisieren. Eine friedliche Lösung hingegen könnte schon kurzfristig wirken. Sie führte, wenn nicht zum Machtverlust, dann sicherlich zur Isolierung der Radikalislamisten.