: Occupys Ende
ESSAY Das Hamburger Occupy-Camp steht kurz vor der Räumung. Das scheint niemanden so richtig zu stören. Dabei hat man die Protestler einmal wie lang Vermisste begrüßt
VON FRIEDERIKE GRÄFF
„Eine Bewegung lässt sich nicht räumen“, steht auf einem der Plakat-Aufsteller neben dem Occupy-Camp auf dem Gertrudenkirchhof. Darüber haben die Occupy-Leute ein Brett genagelt, damit er den Regen übersteht. Glaubt man dem Bezirksamt Mitte, so wird das Camp demnächst geräumt. Was die Occupy-Leute glauben, ist schwieriger zu erfahren, weil auf dem Camp-Handy niemand zu erreichen ist. Das Verwaltungsgericht Hamburg wird demnächst über einen Eilantrag gegen die Räumung entscheiden. Vermutlich ist die interessante Frage weniger die, ob geräumt wird, sondern die, was dann bleibt von einem Protest, dessen Name ein Imperativ ist: Besetzt! Man kann das Auffordernde darin gut finden, die Tatsache, dass nicht an erster Stelle steht, wogegen man genau ist, sondern dass man etwas tut. Genau daran hat sich aber auch die Kritik entzündet: dass sich hier Leute zusammenfinden, die Massentierhaltung, Waffenexport, Banken-Spekulationen, Mietwucher, Lebensmittel-Spekulation und alle anderen Übel der westlichen Gesellschaft auf einmal anprangern.
Als die Hamburger Occupy-Bewegung ihre Zelte auf dem Gerhard-Hauptmann-Platz, direkt vor dem Eingang der HSH-Nordbank aufschlug, war der Empfang herzlich. Das benachbarte Café wollte sie mit Strom versorgen, Anwohner brachten Kaffee, die Polizei wünschte Glück und Gleiches taten die Bankbeamten auf dem Weg von der Arbeit. Es war, als hätte man lange auf diese Protestler gewartet, die sich teils hinter Guy-Fawkes-Masken verbargen. Die Occupy-Leute wirkten überrascht und gerührt, erschlagen schienen sie vom Ansturm der Presse. Wie in den anderen Städten gab es keine hierarchischen Strukturen, keine klar erkennbaren Sprecherinnen und Sprecher, es herrschte ein sympathisches Desinteresse, sich vor den Fernsehkameras aufzubauen.
Was außerdem auffiel: Unter den Occupy-Leuten waren Menschen jeglichen Alters, Akademiker und Nicht-Akademiker. Mark Greif, der Chronist der New Yorker Occupy-Bewegung hat gesagt, dass „die Weigerung deutlich zu sein“, das „Ganze hat passieren lassen“. Nicht deutlich waren die Ziele, nicht deutlich war ein bestimmtes Milieu, das hinter diesem Ganzen gestanden und es dominiert hätte. Zumindest zu Beginn nicht.
Dass die Hamburger Aktivistinnen und Aktivisten nicht mit den ersten Minusgraden verschwanden, hat sie für die Stadt sicher glaubwürdig gemacht. Niemand hat erwartet, dass sie zwei Jahre lang ausharren würden – länger als alle anderen Occupy-Camps im Land. Aber das Interesse an ihnen ist verpufft. Die Ankündigung, dass ihre Hütten geräumt werden sollen, hat niemanden auf die Barrikaden gebracht, nicht einmal sie selbst.
Warum nicht? Vielleicht, weil die Occupy-Leute jenseits des Gertruden-Platzes nicht zu erkennen sind, weil sie chamäleon-artig in den Aktionen der anderen aufgehen. Wer auf ihrer Internetseite nachsieht, was sie tun, findet Plena und Mahnwachen gegen die Bahnwache am Hauptbahnhof, die Obdachlose und andere Unerwünschte vertreibt. Es ist interessant, wie defensiv die Ankündigung klingt. Es heißt, dass „wir doch eigentlich „nur noch schnell die Welt retten“ müssten ... Hier dennoch weitere Berichte „nur“ vom Hamburger Hauptbahnhof. Dabei sind die Leute am richtigen Ort: Was ist symbolischer – und zugleich realer – als die Vertreibung der Unterschicht aus dem Zentrum der Stadt und das mittels klassischer Musik?
Man wird nicht recht klug aus diesen Protestlern. Sie halten Plena ab, aber das letzte Protokoll stammt vom März 2012. Dort heißt es noch, dass sie auf die Anwohner zugehen wollten, Geschäftsleute, die das Camp für ihre Umsatzeinbußen verantwortlich machen. Das scheint nicht gelungen, zumindest heißt es aus dem Bezirksamt, dass es noch immer Anwohnerbeschwerden gebe, allerdings wegen Feuers und wilden Pinkelns. Dort heißt es auch, dass vom Camp keine politische Botschaft ausginge, so sagt es der Sprecher, und dann sagt er doch noch, dass die Occupy-Leute sich engagierten, in Schulen gingen, sich für die abrissbedrohten Esso-Häuser einsetzten – aber das könnten sie auch, wenn sie einen Treffpunkt statt eines Camps hätten, bei der Suche sei man gern behilflich.
Politisch, unpolitisch, so unbestimmt wie das Bezirksamt sind die Occupy-Leute selbst: „Das Occupy Camp strebt weiterhin seine Auflösung, sowie die Okkupierung des öffentlichen Raums an, in guter Zusammenarbeit“, so heißt es in einer Pressemitteilung vom 1. Januar. Sie wollten keine Patentlösungen, so haben sie sich ganz zu Beginn gegen die Forderung nach Lösungen gewehrt. Ihr Unbehagen an den Missständen unseres ganz normalen Lebens hat den Occupy-Leute Sympathien eingebracht, aber dann wurde ihr Bild zu undeutlich hinter den Guy-Fawkes-Masken, als dass sich jetzt jemand an sie erinnerte.