: Die unfreie Wahl
BUNDESPRÄSIDENTENWAHL Morgen wählt die Bundesversammlung das neue Staatsoberhaupt und regelt die Nachfolge von Horst Köhler. Die Debatte über die Kandidaten war kontrovers wie selten. Dabei steht der Sieger eigentlich fest
■ Zusammensetzung: Am Mittwoch wählt die Bundesversammlung den Nachfolger des zurückgetretenen Präsidenten Horst Köhler. Sie besteht aus allen Mitgliedern des Bundestags und ebenso vielen von den Landtagen entsandten Mitgliedern. Diese spiegeln die Bevölkerungszahlen der Länder wider, zudem wird die Zusammensetzung der Landesparlamente nach Fraktionen berücksichtigt. Daher werden auch zehn Delegierte der freien Wähler, drei der NPD und einer des Südschleswigschen Wählerverbands in die Versammlung entsandt.
■ Wahlgänge: Da der Bundestag derzeit aus 622 Mitgliedern besteht, wird die Versammlung dieses Mal 1.244 Wahlfrauen und Wahlmänner zählen. Neuer Bundespräsident wird, wer im ersten oder zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit erhält. Trifft dies auf keinen der Kandidaten zu, gilt als gewählt, wer im dritten Wahlgang eine relative Mehrheit erreicht.
■ Promis: Die Landtage können auch Personen des öffentlichen Lebens nominieren. Die Grünen haben sich etwa für die Schauspielerin Nina Hoss und die ehemalige FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher als Wahlfrauen entschieden. Die CDU schickt unter anderem die Verlegerin Friede Springer ins Rennen. Und die Linke hat beispielsweise Konstantin Wecker als Wahlmann ausgewählt. (kss)
AUS BERLIN GORDON REPINSKI
Julia Klöckner ist berühmt geworden an diesem Tag, mit nur einem Satz. „Leute“, schrieb die CDU-Politikerin per Kurznachrichtendienst Twitter, „ihr könnt in Ruhe Fußball gucken. Wahlgang hat geklappt!“ Es war der 23. Mai 2009. Horst Köhler wurde für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident wiedergewählt.
Nach dem überraschenden Rücktritt Köhlers am 30. Mai dieses Jahres wird nun, am Ende der 30-Tages-Frist, sein Nachfolger von der Bundesversammlung gewählt. Oder seine Nachfolgerin. Drei KandidatInnen von den im Bundestag vertretenen Parteien stehen zur Wahl. Union und FDP haben den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff aufgestellt, Grüne und SPD den Bürgerrechtler Joachim Gauck. Und die Linkspartei tritt mit der Exjournalistin Luc Jochimsen an.
Doch der Favorit ist Christian Wulff – Schwarz-Gelb hat eine Mehrheit von 23 Stimmen. Trotzdem gilt die Wahl als spannend. Die drei Delegierten der sächsischen FDP haben angekündigt, für Joachim Gauck stimmen zu wollen, so auch der Bremer FDP-Landeschef Oliver Möllenstädt.
Und dann ist da ja noch die Gruppe der Unzufriedenen, der Beinsteller und Abstrafer. Die hessische CDU könnte zum Beispiel ihren ehemaligen Landeschef Roland Koch rächen wollen, dem Kanzlerin Merkel nie einen einflussreichen Posten im Bundeskabinett angeboten hat. Fans von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) könnten Wulff die Stimme verwehren, weil sie lieber ihre Kandidatin als Präsidentin gesehen hätten. FDP-Delegierte aus Ost und West gelten ohnehin als Unsicherheitsfaktor, weil die FDP bei so vielen Themen der Bundespolitik den Kürzeren gezogen hat – und die Merkel-Skeptiker sind in den vergangenen Wochen ebenfalls zahlreicher geworden. Die Koalition versucht hektisch gegenzusteuern: „Bei dieser Bundespräsidentenwahl muss das christlich-liberale Lager zusammenstehen und es wird zusammenstehen“, sagte etwa der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer.
Die vielen parteitaktischen Überlegungen vor der Stimmabgabe haben eine Debatte ausgelöst über die Freiheit der Bundespräsidentenwahl, die im Grundgesetz verankert ist. Selbst die Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf haben gefordert, die Wahl nicht mit der Tagespolitik zu verknüpfen.
Von dieser Debatte hat besonders der rot-grüne Kandidat Joachim Gauck profitiert, der als Antipolitiker in allen Bevölkerungsschichten erstaunlichen Zuspruch erhält und sogar auf der Internet-Plattform Facebook über 40.000 AnhängerInnen gewinnen konnte.
Damit es am Ende für Gauck reicht, müsste trotzdem ein kleines Wunder geschehen. Sollte Christian Wulff in den ersten beiden Wahlgängen durchfallen – das gilt nicht als ausgeschlossen – würde im dritten Wahlgang die relative Mehrheit der Stimmen ausreichen. Doch selbst dann müsste Gauck nicht nur die 23 fehlenden Stimmen aufholen. Er wäre auch auf die 124 Stimmen der Linkspartei angewiesen. Und aus dieser haben zahlreiche Delegierte Gauck bereits als „unwählbar“ bezeichnet. Also ist wohl doch schon alles entschieden für Christian Wulff.
Fußball wird übrigens am Mittwoch nicht angepfiffen. Die WM hat spielfrei.