piwik no script img

Archiv-Artikel

Bildungsmaut bald flächendeckend

Bis zu 8.000 Menschen werden am Mittwoch bei der norddeutschen Zentraldemo gegen Studiengebühren erwartet. Gründe gibt es: Hamburg und Niedersachsen führen Gebühren ein, Bremen und Schleswig-Holstein wollen keine Inseln sein. Nur Mecklenburg-Vorpommern ist ganz dagegen

Von KAIJA KUTTER, JAN ZIER und KAI SCHÖNEBERG

Wenn am Mittwoch tausende Studierende zur zentralen Protestdemonstration für Norddeutschland nach Hamburg kommen, ist es hier schon fünf nach zwölf: Das Gesetz zur Einführung von 500 Euro Semestergebühr ab dem Jahr 2007 wurde Ende Mai von Hamburgs Bürgerschaft bereits in erster Lesung verabschiedet – die zweite Lesung ist da nur ein formaler Akt.

Studierendenvertretungen und Rathaus-Opposition nutzen diese zeitliche Lücke dennoch, um die allein regierende CDU unter Druck zu setzen. Auf 8.000 Demonstrierende hofft Christian Höft vom AStA der Uni Hamburg. Die Hansestadt habe zu wenig Absolventen. Da sei es „grundfalsch, das Studium teurer zu machen“. Die grüne Hochschulpolitikerin Heike Opitz sagt mit Blick auf die zur Verabschiedung stehende Regelung: „Sozialverträglich ist das nicht.“

Kein Sorglos-Paket

Hamburgs Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos), der vor drei Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die entscheidende Klage gegen ein Gebührenverbot initiierte, hatte stets eine Art Rund-Um-Sorglos-Paket versprochen, das dazu führe, dass Studiengebühren den Unis helfen, den Studierenden aber nicht weh tun würden. Dazu gehöre ein Darlehen, das erst ab einer bestimmten Einkommenshöhe nach dem Studium zurückgezahlt werden müsse, so hieß es.

Das Darlehen wird kommen, die Konditionen indes werden derzeit noch mit der Kreditanstalt für den Wiederaufbau (KfW) verhandelt. Anders jedoch, als selbst von der Hamburger CDU-Basis ursprünglich angedacht, wird es keine Befreiung für Bafög-Empfänger geben – die sitzen dann auf einem doppelten Schuldenberg. Opitz hat ausgerechnet, dass zu 10.000 Euro Bafög nochmals 5.000 Euro für die Rückzahlung des Studiendarlehens sowie weitere 5.000 Euro Zinsen kommen. Die Grüne fordert, dass hier eine Kappungsgrenze von 10.000 Euro eingeführt wird, so wie in Nordrhein-Westfalen. Aussichtsreich ist das nicht: Die CDU-Fraktion hatte dem Senator kurz vor der ersten Lesung eine Kappungsgrenze in Höhe von 17.000 Euro abgerungen und als Erfolg gefeiert – dabei ist es die bundesweit höchste.

Haarig wird wird die Lage auch für ausländische Studierende, die gar keinen Anspruch auf ein Darlehen haben. Hier überlässt der Senat es den Hochschulen, „in eigenem Ermessen die Gebühr zu stunden“. Für die SPD-Hochschulpolitikerin Barbara Brüning ein unfairer Deal: „Hochschulen können nicht viele Ausnahmen zulassen, wenn sie das Geld brauchen.“

Verteilungsdiskussionen

Absolut „sozialverträglich“ findet derweil Niedersachsens Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) sein Studiengebühren-Konzept, das dem Hamburger fast gleicht: Erstsemester müssen von Herbst an 500 Euro pro Semester zahlen, ab 2007 werden dann alle 152.000 Studierenden im Land zur Kasse gebeten. Zur Finanzierung können Studies bis 35 Jahre ohne Rücksicht auf ihre Vermögensverhältnisse ein Darlehen der landeseigenen NBank beantragen. Zurzeit müssten 5,1 Prozent Zinsen gezahlt werden, die Höchstgrenze liegt bei 7,5 Prozent.

Studierende und die Landtagsopposition aus SPD und Grünen finden, dass der Minister das Etikett „sozialverträglich“ stark überinterpretiert. Inklusive Zinsen könnten Studenten im Lauf ihrer Uni-Karriere bis zu 19.000 Euro zurückzahlen müssen, sagt die grüne Hochschulexpertin Gabriele Heinen-Kljajic. Bislang hatte Stratmanns Ministerium stets betont, die Schuldengrenze liege höchstens bei 15.000 Euro.

Streit gibt es auch über die Verwendung der erwarteten rund 130 Millionen Euro im Jahr: Während der Hildesheimer Uni-Präsident Wolfgang-Uwe Friedrich bereits an mehr Tutoren oder verlängerte Bibliothekszeiten denkt, kündigt etwa der AStA der Uni Hannover an, die Fachschaften würden sich nicht an der Verteilungsdiskussion beteiligen. Die Uni-Vollversammlung beschloss zudem eine Resolution: „Boykott statt Verhandlung“.

Die Landeskinder-Frage

Derweil gehen die Vorgänge in Hamburg und Niedersachsen an den Nachbarländern nicht spurlos vorbei. Das schwarz-rote Bremen führt zum Wintersemester eine 500-Euro-Gebühr für all jene ein, die nicht im Stadtgebiet wohnen, und ahmt damit Hamburgs umstrittene Metropolgebühr nach. Zahlen soll auch, wer länger als 14 Semester studiert. In der großen Koalition war die Einführung von Gebühren lange umstritten. Im Oktober 2005 stimmte die Bürgerschaft einem Studienkontengesetz zu, mit einer so genannten „Landeskinder-Regelung“: Sie belastet, vom dritten Semester an, nur Studierende, die nicht in Bremen gemeldet sind.

Die Koalitionäre indes interpretieren die Neuregelung unterschiedlich: Die SPD betont, Bremer StudentInnen werde ein gebührenfreies Erststudium gesichert. Die CDU dagegen sieht einen Einstieg in generelle Studiengebühren; eine „dauerhafte Insellösung mit einem Landeskinder-Modell“ könne im kleinen Bremen nicht sein. Klarheit dürfte es spätestens dann geben, wenn die Regierungsmehrheit wechselt – im Frühjahr 2007 wird an der Weser gewählt.

Auch im schwarz-roten Schleswig-Holstein soll es laut Koalitionsvertrag zu keiner „Insellösung“ kommen, eine Vorreiterrolle will man aber auch nicht spielen. Der zuständige Minister Dietrich Austermann (CDU) will die Gebühr und lässt bereits am Gesetzentwurf schreiben. Die SPD will dem nur zustimmen, wenn alle Nordländer sie einführen. So ruht die Hoffnung der Gebührengegner auf dem Nordosten: in Mecklenburg-Vorpommern ist Gebührenfreiheit Teil des rot-roten Koalitionsvertrags.