: „Nach einem Tor wird gebetet“
Bernhard Felmberg
Er wäre gern ein Fußballstar geworden. Es hat nicht geklappt. Stattdessen ist der 40-jährige Bernhard Felmberg nun Theologe und Oberkonsistorialrat der evangelischen Kirche. Besser: „Kirchenkämpfer“. Die Kapelle im Olympiastadion ist sein wahr gewordener Traum. In einem Kraftakt überzeugte er alle Beteiligten vom Projekt, nur um dann fast am WM-Organisationskomitee (OK) zu scheitern: Kurz vor der WM war die Kapelle fertig, das OK hat jedoch die Nutzung untersagt. Aber einer wie Felmberg gibt nicht auf. Kämpfen und Beten gehören für ihn zusammen. Nach drei WM-Spielen im Olympiastadion ohne göttlichen Beistand haben die WM-Organisatoren nachgegeben. Seit Donnerstag ist die Kapelle wieder offen
INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB
taz: Herr Felmberg, was liegt zwischen Sieg und Niederlage?
Bernhard Felmberg: Das ist nicht so einfach zu sagen, zumal als Christ. Wir haben mit Jesus ja einen, der scheinbar eine Niederlage erlitten hat, als er am Kreuz endete. Sieht doch so aus, als hätte er seinen Kampf verloren. Wir glauben aber, dass mit dieser Niederlage der Sieg über den Tod errungen wurde.
Also liegt zwischen Sieg und Niederlage der Glaube.
Kann man so sagen.
Muss es ein bestimmter Glaube sein?
Es muss einer sein, der einem hilft, mit Sieg und Niederlage im Leben umzugehen. Unser Glaube gibt da Antworten, die andere Religionen so nicht geben.
Etwas profaner: Glauben Sie, dass die deutsche Fußballmannschaft am Ende der Sieger sein wird?
Ich hoffe es. Ich bin gespannt, an welcher Stelle sie eine Niederlage erleben muss, damit sie am Ende wirklich siegreich sein kann. Bis jetzt hatte jeder, der Weltmeister geworden ist, während des Turniers mal eine Schwäche.
Sie haben selbst einen Moment von Schwäche erlebt. Denn in einem gewaltigen Kraftakt haben Sie es geschafft, dass beim Umbau des Olympiastadions in dessen Katakomben eine ganz mit Blattgold ausgelegte Kapelle eingerichtet wird. Kurz vor der WM wurde sie eingeweiht. Dann allerdings hat die Fifa sie aus Sicherheitsgründen geschlossen.
Das Sicherheitsargument war unglaubwürdig. Sicherheitsaspekte sind an anderen Stellen im Stadion wichtiger als in einer christlichen Kapelle.
Das Vorgehen der Fifa war ein Schlag ins Gesicht. Fühlten Sie sich herausgefordert?
Wir waren alle herausgefordert. Wir hatten drei Spieltage, an denen die Kapelle geschlossen war. Letzte Woche hatte das WM-OK dann noch einmal bestätigt, dass sie geschlossen bleibt. Ihre neuerliche Begründung: Man wolle keiner Religion besonderes Gewicht verleihen.
Ein legitimes Argument.
Ich finde es noch schwächer als das erste. Es will ja niemand einen Taufschein sehen, bevor jemand in die Kapelle geht.
Ein Muslim kann sich darin also auch gegen Mekka verbeugen?
Natürlich kann er in eine christliche Kapelle gehen und dort beten.
Und eine muslimische Andacht ist ebenfalls möglich?
Nein.
Warum nicht?
Weil man respektieren muss, dass wir verschiedene Bekenntnisse haben. Ein Muslim würde die Idee einer Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist als Gottesbild immer ablehnen. Wir haben viel zu lange versucht, existierende Unterschiede zu nivellieren, und haben nicht gemerkt, dass wir uns damit um den Dialog bringen. Deshalb bin ich für klare Räume, in denen die jeweiligen Religionen erkennbar sind.
Warum nivelliert man etwas, wenn in einer christlichen Kapelle eine muslimische Andacht stattfindet?
Ein Imam kann nicht so tun, als sei er nicht in einem christlichen Raum mit Kreuz.
Müsste es getrennte Räume für die verschiedenen Religionen geben?
Es steht den anderen Religionen frei, sich darum zu kümmern. Im Londoner Flughafen Heathrow gibt es auch Andachtsräume der unterschiedlichsten Religionen.
Glauben Sie, dass Gebetsräume für Muslime oder Juden im Olympistadion eine reelle Chance hätten?
Chancen gibt es immer.
Seit Donnerstag ist Ihre Kapelle im Stadion nun doch zugänglich. Ist für Sie am Ende alles gut ausgegangen?
Ich hab immer gesagt: Das letzte Wort ist nicht gesprochen. Ich bin ein leidenschaftlicher Mensch. Bei der Einweihung am 20. Mai dachte ich: Jetzt ist es geschafft. Als ich beim ersten WM-Spiel in Berlin vor jedem Türschloss ein Siegel sah, dämmerte mir, dass noch etwas nachkommt.
Und jetzt?
Das WM-OK hat begriffen, dass die Kapelle nicht schadet. Stellen Sie sich vor, die Medien berichten darüber, dass Ronaldinho vor dem Spiel dort betet. Das Verbot, die Kapelle zu nutzen, hat der Fifa dagegen solche kritische Fragen eingebracht wie: Wie weit reicht die Macht der Fifa eigentlich?
Sie meinen: Wie weit reicht die Macht der Fifa im Verhältnis zur Macht der Kirche?
Ja. Dass die Fifa einem vorschreibt, welche Biersorte und Bratwurst man im Stadion zu kaufen hat, das kann ich noch verstehen. Aber dass man mit einem Federstrich wegwischt, was Leute in drei Jahren mühsam aufgebaut haben, das find ich nicht okay. Zumal die Kapelle der WM und den Spielern zugute kommt. Nehmen Sie das erste Spiel in Berlin: Brasilien gegen Kroatien. Das sind doch Christen.
Warum meinen Sie, dass die Spieler den religiösen Beistand wollen?
Das ist eindeutig. Die meisten Spieler äußern sich in ihrer Zeichensprache religiös. Sie bekreuzigen sich, wenn sie den Rasen betreten. Nach einem Tor wird gen Himmel gebetet.
Als ritualisierte Floskel können Sie das nicht deuten?
Für mich ist es ein Bekenntnisakt. Die Spieler demonstrieren öffentlich, von wem sie Schutz, Kraft und Beistand erwarten. Es mag sein, dass das bei vielen zu einem Ritual geworden ist. Aber Rituale haben in der Regel etwas, das nach innen und außen wirkt. Deshalb sind auch automatisierte Rituale nie leer.
Nimmt man Fußball nicht viel zu ernst, wenn man sagt, man braucht den Beistand von Gott?
Die Verbindung zu Gott ist etwas Umfassendes, das im Alltag und an Feiertagen, bei Existenziellem und Leichtem trägt.
Geht es bei der Weltmeisterschaft um Existenzielles?
Für jede Nation geht es dabei um sehr viel. Was diese Spiele in den einzelnen Ländern bewirken, was für Massen dahinter stehen, welche emotionalen Bewegungen sie auslösen, das ist enorm. Schauen Sie sich unsere Straßen an: was da los ist. Was für ein gefühlter Zusammenhalt da entsteht. Wer meint, es geht um nichts, unterschätzt die Bedeutung.
Angenommen, die Spieler beten wirklich, dann beten sie um den Sieg und sicher nicht um die Niederlage. Ist das nicht Häresie oder Götzendienst?
Ich weiß nicht, ob man immer um den Sieg betet. Könnte ja auch heißen: Lass mich hier heil runterkommen. Aber um den Sieg beten, ist einem auch in anderen Lebenssituationen nicht fremd. Man betet um ein Weiterkommen, um den Sieg in einer Krise. Ein Gebet, das von Herzen kommt, ist nie Götzendienst. Ich wende mich ja nicht an einen Götzen, sondern an den lebendigen Gott.
Sie laden die Geste der Spieler mit Inhalten auf. Dies in einem Kontext, in dem Sie selbst einmal sagten, die Fußballstars würden wie Halbgötter, wie Säulenheilige angesehen.
Wenn ein kroatischer Fan, wie beim Spiel gegen Brasilien, den Wassergraben überwindet, aufs Spielfeld rennt, vor dem Spieler niederkniet und seine Schuhe küsst, dann ist das Götzendienst. Das, womit die Spieler verglichen werden – man spricht von Flankengott, von himmlischem Schuss –, das sind transzendete Aufladungen, die den Leuten was vormachen.
Und um das in geordnete Bahnen zu lenken, sind Sie auf die Idee gekommen, dass eine Kapelle im Olympiastadion gut wäre?
Drei Jahre vor der WM hab ich als fußballbegeisterter Pfarrer darüber nachgedacht, was mein Traum wäre: eine Kapelle im Olympiastadion. Weil das Olympiastadion einzigartig ist in seiner problematischen Geschichte. Außerdem ist es eine Herausforderung, als Kirche da zu sein, wo allein 250.000 Leute jährlich vorbeikommen, nur um sich das Stadion anzuschauen. Mit ihnen kann man über Leistungssport, Ethik, Nationalsozialismus sprechen. Die Ausrichtung der ovalen Kapelle setzt einen Kontrapunkt zur Ost-West-Ausrichtung des Stadions mit seinem Blick aufs Maifeld.
Soll heißen: Die Achse des Stadions und die der Kapelle kreuzen sich?
Sie bilden ein Kreuz.
Die Kapelle ist schön geworden, schwärmen Sie doch mal.
Die Idee des Architekten Volkwin Marg, eine ovale Kapelle zu bauen, in der eine goldbezogene Wand, die mit Bibelversen in 18 Sprachen versehen ist, schwebend im Raum steht, das ist hervorragend gelungen.
Die Kapelle kreuzt nicht nur die Achse des Olympiastadions, sie liegt zudem auf einer Achse unter dem ehemaligen Führerbalkon. Das ist ja eine sehr versteckte Symbolik. Wer soll sie wahrnehmen?
Das war eine Symbolik, die der Architekt im Blick hatte. Mir war eher wichtig, dass die Kapelle etwa in der Mitte zwischen den beiden Spielhälften liegt. Der Raum schafft Verbindungen. Spielerische, kämpferische, historische. Man muss sich mit der Geschichte dieses Ortes auseinander setzen. In der Kapelle kann man das tun. Man wechselt die Sphäre. Das wird jeder Sportler merken.
Schon wieder nur Sportler. Vorher waren es noch 250.000 Besucher.
An Spieltagen nutzen ihn die Sportler. An Tagen ohne Spiele sind es die Besucher. Bei Tauffeiern oder Hochzeiten sind es die Gäste. Ich verbinde mit dieser Kapelle die Hoffnung, dass sie Menschen auf sich zurückführt. Dass sie nicht nur zu einem Gespräch mit sich, sondern auch mit Gott kommen.
So spricht einer, der durch und durch Kirchenmann ist.
Ich fühle mich mit meiner Kirche in allen Siegen und Niederlagen verbunden. Wenn eine Kirche innerhalb von 40 Jahren viele hunderttausend Menschen verliert, dann sind das herbe Niederlagen. Wenn man nicht in die Vergangenheit schaut und fragt, was ist falsch gelaufen, wird man nicht in der Lage sein, Zukunft hoffnungsfroh zu gestalten.
Obwohl selbst passionierter Fußballer, wurden Sie kein Star. Wenngleich Sportbeauftragter der evangelischen Landeskirche, sind Sie auch nicht der Seelsorger der deutschen WM-Mannschaft. Haben die Fußballer einen anderen Pfarrer dabei?
Nein.
Und die anderen Mannschaften?
Ich habe nur die deutsche Mannschaft verfolgt. Meines Wissens war 1990 ein Priester dabei. Die Spieler sollen sich aber ihr geistliches Leben bei dieser WM selbst organisiert haben. Soweit ich weiß, gibt es unter ihnen einen Gebetskreis.
Sind Wettkämpfe aus religiöser Sicht also doch eine ideologische Angelegenheit?
Man muss ganz klar sagen, dass der Apostel Paulus im ersten Korintherbrief die Wettkampfterminologie aufgreift. Er sagt: Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt.