: Der Schwimmer mit Zukunft
Helge Meeuw dominiert die 118. Deutschen Schwimmmeisterschaften. Fünfmal steigt er als Sieger aus dem Becken an der Landsberger Allee. Mit Training unter Profibedingungen will der Verband solche Erfolge sichern. Nicht allen Sportlern passt das
VON JOHANNES KOPP
Es war Wettkampf Nr. 243, der den 118. Deutschen Meisterschaften im Schwimmen einen besonderen Glanz verlieh. Zunächst lief alles wie gehabt. In der Schwimm- und Sprunghalle an der Landsberger Allee wurden dem Publikum die Finalteilnehmer über 200 Meter Rücken vorgestellt. Und je nach Herkunft der Athleten meldeten sich am Samstagnachmittag auf der Tribüne Erfurter, Leipziger, Darmstädter oder andere Besucher mit ihren Tröten.
Helge Meeuw, der Favorit aus Wiesbaden, erhob sich bei seiner Namensnennung nicht einmal, sondern winkte lässig von seinem Stuhl aus ins Publikum. Nach vier Meistertiteln in den letzten Tagen über 50 und 100 Meter Rücken sowie über 100 und 200 Meter Schmetterling machte der 21-Jährige einen etwas erfolgsmüden Eindruck.
Doch das täuschte gewaltig. Kaum war Meeuw im Becken gestartet, legte er ein Aufsehen erregendes Tempo vor. Am Ende unterbot er mit einer Zeit von 01:56,34 den fast 15 Jahre alten Europarekord des Spaniers Martin Lopez-Zubero um 23 Hundertstel.
Ernest Fahrland, der den Wettkampf als Zweiter beendete, berichtete hinterher erstaunt: „Bereits nach 50 Metern konnte ich seine Füße nicht mehr sehen.“ Meeuw hielt die Geschwindigkeit konstant hoch und ließ den Berliner Fahrland um Längen hinter sich. Nicht die unerbittliche Konkurrenz war es, die ihn zur Höchstleistung antrieb. Ausschlaggebend für den Europarekord war sein unbeugsamer Wille im einsamen Kampf gegen die Uhr. Das Publikum wollte gar nicht aufhören zu applaudieren. Meeuws Zeit war ja zudem noch eine Weltjahresbestleistung. In der Schwimmhalle machte sich eine respekt- und ehrfurchtsvolle Stimmung breit.
Helge Meeuw selbst präsentierte sich kurz darauf wiederum locker und ließ seinen Worten freien Lauf: „Mit so einer krass geilen Zeit hätte ich nie im Leben gerechnet.“
Überrascht waren alle. Auch Ernest Fahrland konnte kaum fassen, dass zwischen ihm und Meeuw mehr als fünf Sekunden lagen. Im Schwimmen ist das eine halbe Ewigkeit. Vor vier Jahren war Fahrland ebenfalls 21 Jahre alt und Deutscher Meister über 200 m Rücken. Es war bislang der Höhepunkt seiner Karriere. „Ich schwamm damals im Rausch“, erinnert sich Fahrland. Für Meeuw seien die Deutschen Meistertitel aber eher eine Dreingabe auf dem Weg zu internationalem Ruhm.
Mit fünf Titeln wurde Meeuw zum Star der Deutschen Meisterschaften in Berlin. Den erfolgreichsten aktiven deutschen Schwimmer Thomas Rupprath besiegte er gleich dreimal, sodass dieser bereits am Freitag frustriert aus Berlin abreiste. Rupprath vergaß aber nicht, Meeuw seinen Respekt zu zollen. Diesem Mann gehöre die Zukunft, erklärte er.
Für die Europameisterschaften Anfang August in Budapest konnte sich Meeuw bei den Deutschen Meisterschaften gleich mehrfach qualifizieren. Fahrland ist sich sicher, dass Meeuw dort mit seiner Lockerheit ähnlich herausragende Zeiten schwimmen wird. Und er nennt noch einen anderen gewichtigen Grund für dessen Erfolge: Meeuw arbeite derzeit als Vollprofi. Eine Ausnahmeerscheinung in Deutschland. Meeuw selbst beschreibt seinen Status mit der schönen Formel: „Student in Wartestellung“.
Geht es nach dem erst vor kurzem berufenen Direktor des Deutschen Schwimmverbandes (DSV), Örjan Madsen, sollen die anderen diesem Beispiel folgen. Er hält es für zwingend notwendig, dass die deutschen Spitzenschwimmer unter Profibedingungen arbeiten. Nur auf diese Weise, denkt er, kann man international wieder konkurrenzfähig werden. Sein Projekt „Weltklasse 2008“ sieht jährlich drei vierwöchige Höhenlager und weitere längere Trainingszusammenkünfte vor. Für berufstätige oder studierende Schwimmer ein kaum zu bewältigendes Mammutprogramm. Unter den Schwimmern regt sich nicht nur deshalb Widerstand. Auch die Grundidee des Konzepts wird kritisiert.
Der Berlinerin Britta Steffen, die bei den Deutschen Meisterschaften über 100 Meter Freistil (54,29 Sekunden) einen neuen deutschen Rekord aufstellte, sind die Planspiele Madsens ein Gräuel. Sie sagte, sie bräuchte einen Ausgleich zum Sport, sonst würde sie kaputtgehen. Der DSV steht aber kompromisslos hinter Madsens Projekt. Ein Konzept könne nicht auf alle Sportler zugeschnitten sein, erklärte Christa Thiel, die Präsidentin des DSV in Berlin. Der Seriensieger Helge Meeuw wird dem Schwimmverband künftig als Paradebeispiel dienen, welche Erfolge man als Vollprofi erzielen kann.