Die vier von der Tankstelle

Für jede Tonspur eine andere Autoanlage: Der holländische Künstler Sasker Scheerder führte an einer Tankstelle in Prenzlauer Berg ein Stück für aufgemotzte Prollkarren auf

Die Freie Internationale Tankstelle in Prenzlauer Berg hat sich in eine Dorftanke verwandelt. Unter dem minimalistischen Flachdach, wo sich sonst Szenevolk trifft, macht sich die Car-Hifi-Szene breit. Ein gutes Dutzend tiefer gelegter und spurverbreiterter Opel, VWs und Fords parkt Seite an Seite, die Autobesitzer haben Türen und Kofferräume geöffnet, um zu zeigen, was sie haben: potente Anlagen, ausgeklügelte Klangsysteme und mächtige Bassröhren, die aus einem Mittelklassewagen eine fahrende Großraumdisko machen.

Um Chris’ Golf 4 zappeln aufgeregt ein paar Jungs herum. „Boah“, macht einer und berührt vorsichtig die rote Lederverkleidung, in der ein pulsierender Subwoofer Basswellen aussendet. „Nicht hinfassen“, zischt ein anderer und verrenkt sich den Hals, um die hinter einer Scheibe schimmernden Endstufen zu bewundern. Chris freut sich über die Aufmerksamkeit. „Rund 5.000 Euro hat die ganze Anlage gekostet“, sagt er nicht ohne Stolz. Für den ausgezeichneten Klang hat er bei Soundwettbewerben schon etliche Preise gewonnen. „Auf reine Lautstärke steh ich nicht so“, sagt der jungenhafte Typ. Die 143 Dezibel, die seine Anlage hergebe, nutzt er nie aus – im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen vom „Team Köpenick“, die ringsherum parken.

Die Freunde der Audiopower halten sich zurück, schließlich geht es bei dem Tankstellentreffen nicht um die größte Lautstärke, sondern um Kunst. Gleich soll ein Live-Konzert auf dem Dach über Kurzwellensender in die mächtigen Audiosysteme gejagt werden – aufgeteilt in vier Frequenzen. Jede Anlage überträgt entweder Stimme, Synthesizer, Bass oder Gitarre, das ganze Klangbild ergibt sich beim Wandern zwischen den geparkten Autos.

Die Prollkarrensymphonie ist eine Idee des holländischen Künstlers Sasker Scheerder, die nun im Rahmen des Sonambiente-Festivals umgesetzt wird. Oliver Baurhenn vom Club Transmediale macht die Runde und checkt, ob jeder die richtige Frequenz hat.

Ein Siebziger-Jahre-Mercedes, der sich zwischen die getunten Kleinwagen gemogelt hat, braucht noch etwas Zuspruch. „Mein Auto ist mehr zum Gucken als zum Hören“, entschuldigt sich der Autobesitzer. „Macht nichts, Hauptsache, es kommt was raus“, beruhigt Baurhenn, schwingt sich in den cremefarbenen Ledersitz und stellt den Mercedes auf die UKW-Frequenz 95,2 ein. „Du hast die Stimme“, erklärt er. Der Autobesitzer nickt nervös.

Alle schauen nach oben aufs Dach, wo die beiden holländischen Musiker der Gruppe Aux Raus! zu einer brachialen Gabber-Punk-Performance anheben. Der hysterische Club-Sound von oben wird unten zum ambulanten Spektakel: Die Stimme des kahlköpfigen Sängers scheppert hohl, aber kräftig aus dem schwarzen Mercedes, der Opel nebenan liefert die Gitarre, aus Chris’ Golf wummert der Bass. Nur bei einem weißen Golf, der auf Lautstärke getrimmt ist, fliegt sofort die Sicherung raus. Die Menge bewegt sich zwischen den Autos, bewundert die pulsierenden Membranen und den perfekten Klang. „Wahnsinn“, sagt auch Chris und beobachtet etwas sorgenvoll, wie der Sänger am Rand des Dachs entlang tänzelt.

Die Performance dauert nur kurz, denn schnell wollen alle Fußball gucken, und auch die Polizei ist schon da. Als die ersten Autos auf die Straße rollen, kommen die beiden Beamten noch mal wieder. „Aus rein privatem Interesse“, sagen sie. Solche Gefährte bekommt man in Prenzlauer Berg nicht oft zu sehen.

NINA APIN