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Archiv-Artikel

Dröhn-Doppelpack

Ruppig-laut versus glanzvoll-gescheit. Am WM-Scheitelpunkt prallten zwei Bandentwürfe aufeinander: Die Raconteurs unterlagen den Arctic Monkeys

VON RENÉ HAMANN

1. Halbzeit: The Raconteurs

Freitagabend: Im Handumdrehen hatte sich der dunkle Postbahnhof mit Menschen gefüllt, die bereit waren, 26 Euro für eine Band zu zahlen, die es eben einmal auf eine Platte mit 40 Minuten Musik gebracht hatte. Ein böses Dröhnen breitete sich von der Bühne aus. Verzerrer auf Anschlag, eine Rückkopplungsorgie gleich am Anfang, oder kam dieses Rockgetue noch von irgendeiner Vorband aus dem Brandenburgischen? Nein, wirklich, da spielten sie: der stets etwas arrogant lächelnde, krawattierte Hänfling Brendan Benson; der durchweg mit offenem Mund trommelnde Patrick Keeler; am rechten Bühnenrand Jack Lawrence im totschicken Siebziger-Zweiteiler, 1a-Nana-Mouskouri-Brille und einer Langhaarfrisur, die man jederzeit für eine Perücke halten könnte; und mittendrin, mit angeklatschten Haaren und zwischen wohler Proportion und Muckibude pendelnder Statur: Jack White. Zusammen sind sie die Raconteurs, dies war ihr europäisches Debütkonzert, wie sie nicht müde wurden zu betonen, und sie waren gekommen, um zu rocken, und zwar heftig und laut.

So laut, dass zweierlei Fragen aufkamen: Riskierte man hier mutwillig seine Karriere als Musikjournalist, indem man das Kostbarste aufs Spiel setzte, was man als solcher hat, nämlich seine Ohren? Anders formuliert: Waren Band und besonders Mischer noch ganz bei Trost? Das klang so dermaßen fürchterlich, nämlich nicht nur zu laut, sondern in aller Lautstärke auch fürchterlich undifferenziert: Ein lärmiger Brei aus zwei verzerrten Gitarren und Getrommel, aus der manchmal die gute Stimme Jack Whites, schon seltener die vergleichsweise dünne Bensons und schon gar nicht das exakte Bassspiel von Lawrence herauszuhören war. Da halfen auch keine Taschentücher.

Vielleicht wollen sie auch nur die neuen Nirvana sein. Von Jack White, der sich mit diesem All-Star-Projekt auch von der tickenden Ein-Beat-Maschine Meg White zu lösen versucht, kennt man das ja, diese Hendrix-Kreisch- und Gniedelorgien, diesen allgelegentlich ausbrechenden Rockdröhnterror. Benson allerdings, auf der Platte für die wohltuend weichen und leisen, harmonischen Momente zuständig, ließ sich unnötig oft dem White’schen Lärmdiktat unterwerfen. Klar machten viele der Songs Spaß, besonders die Single „Steady, as She Goes“ und das abschließende „Hands“. Auch ist die Idee einer Band mit zwei gleichberechtigten und gleichermaßen talentierten Songschreibern immer eine besonders gute. Live war es aber oft einfach zu dröhnig, in aller vorhersehbaren Grungigkeit auch schlicht zu langweilig. Die euphorisch hüpfenden Menge indes war es zufrieden.

2. Halbzeit: Arctic Monkeys

Ganz anders die Arctic Monkeys. Muss man wirklich die alte Opposition US-Rock (alte Männer) vs. Britpop (junge, schöne Menschen) wieder aufmachen? Hier stimmte einfach alles: Der Sound. Der Auftritt. Das Spiel der vier Engländer inklusive dem neuen Bassisten Nick O’Malley, der sich so perfekt einreihte, als ob er schon seit Jahren dabei wäre. Das Publikum feierte bunt durchmischt sich selbst, den Fußball, England und Deutschland und die Band, hüpfte herum, gab sich durchweg textsicher – kurz: hatte einfach guten, euphorischen Spaß.

Was im Grunde sehr erstaunlich ist. Denn die Arctic Monkeys machen eine komplizierte Musik, mit nicht einsehbaren Songstrukturen, mit Breaks und Tempiwechseln. Sie brechen in Funk aus, retten den Reggae oder irgendeine Unterart davon, wie überhaupt diese Musik wieder einmal gerade in England gerettet wird. Dann sind sie Disco oder mit ihren rundum gescheiten Texten so was wie The Streets mit Gitarren. Und immer sind sie: Pop.

Rundum großartig also, nicht nur bei herausragenden Stücken wie „I Bet You Look Good on the Dancefloor“. Die Kunst dieser Band liegt darin, dass sie sich nicht erst anbiedern müssen, nicht abgehoben oder arrogant wirken müssen, sondern vielmehr als Teil dieser sie und sich feiernden Menge erscheinen. Ein Hype also, der sich gerechtfertigt hat.