der heimliche nichtraucher von RALF SOTSCHECK :
Fünf Jahre lang hatte ich nicht geraucht – keine einzige Kippe. Am Ende fühlte ich mich zu sicher. Was sollte mir eine Zigarette schon ausmachen, ich war ja geheilt, irrtümelte ich. Seitdem habe ich ein Dutzend mal aufgehört und wieder angefangen.
Die höhnischen Bemerkungen, wenn ich mal wieder schwach geworden war, wurden mir irgendwann peinlich. Im Freundeskreis galt ich längst als labiler Suchtbolzen ohne eine Spur von Willenskraft. So beschloss ich, nur noch heimlich zu rauchen. Ich rasierte mir den Bart ab, damit das Rasierwasser den Tabakgeruch überdeckte. Zu jeder Schachtel Zigaretten kaufte ich zwei Tüten Pfefferminzbonbons. Ich war der Mann mit dem frischesten Atem Irlands.
Um ein paar Züge und einen Pfefferminzbonbon zu nehmen, ging ich in Kneipen ständig auf die Toilette, sodass mir meine Bekannten rieten, die Prostata untersuchen zu lassen. Dann kam das Rauchverbot in sämtlichen irischen Pubs und Restaurants. Ich begann, Wirtshäuser zu meiden, was meine Bekannten zu der Vermutung veranlasste, dass zu der angegriffenen Prostata ein Alkoholproblem hinzugekommen sei. Ich musste meinen Freund John einweihen, denn ich brauchte einen Verbündeten. Fortan besuchte ich ihn regelmäßig abends mit einem Fläschchen Wein und rauchte nach Herzenslust.
Irgendwann flog die Sache auf. Eines Abends schaute Áine, die Gattin, auf dem Nachhauseweg bei John, einem Nichtraucher, in seiner von mir voll gequalmten Bude vorbei. Ich wunderte mich, dass sie sich darüber gar nicht wunderte. Sie wusste längst Bescheid, ebenso wie die anderen Familienmitglieder. Als ich der Tochter beichtete, dass ich wieder rauchte, sagte sie: „Hast du sonst noch irgendwelche Neuigkeiten?“ Bei dem Wort „Neuigkeiten“ machte sie mit den Fingern Anführungszeichen, was ich ohnehin hasse, in diesem Fall aber besonders verabscheute. Der Sohn fragte bei meiner Beichte lapidar: „Hältst du mich für ebenso naiv, wie du es bist?“
Warum hatten sie nicht gesagt, dass sie von meiner heimlichen Raucherei wussten? „Weil du ungeniert mehr geraucht hättest“, antworteten sie. „Wir alle wussten es und haben uns über deine lächerlichen Ausreden amüsiert, wenn du zum Beispiel unbedingt noch zum Laden musstest, um das Abendkäseblatt zu kaufen, das du sonst nie gelesen hast.“ Nachdem ich offiziell geoutet war, qualmte ich in aller Öffentlichkeit, aber aus alter Gewohnheit nicht im Haus, sondern stets im Garten, selbst bei strömendem Regen.
Seit einer Woche nichtrauche ich heimlich. Ich tue so, als ob ich noch rauche. Ich spiele lässig mit meinem Feuerzeug, gehe regelmäßig vor die Tür und bitte wildfremde Raucher auf der Straße, mir ihren Qualm ins Gesicht zu pusten, damit ich nach Rauch rieche. Ich will mir die Schmach und die gehässigen Bemerkungen ersparen, falls ich erneut scheitern sollte. Außerdem will ich nicht der schlechten Nikotinentzugslaune bezichtigt werden, was die Familie unweigerlich tun würde, sollte ich mich völlig zu Recht über Horrorhandwerker, Blödmann Blair oder widerliches Wetter aufregen.
Irgendwann wird meine Nichtraucherei auffliegen. Ich werde leugnen – und mir zum Beweis eine Kippe anstecken.