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Archiv-Artikel

Fernöstliche Entspannungssignale

POLITIK PER FREIHANDEL Die Volksrepublik China und Taiwan unterzeichnen ein auf der Insel umstrittenes Freihandelsabkommen, von dem sich die Regierung in Peking eine stärkere Anbindung Taiwans erhofft

Kritiker fürchten, das Freihandelsabkommen könne Taiwans Eigenständigkeit untergraben

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Sechzig Jahre nach Ende des Bürgerkriegs haben chinesische und taiwanische Politiker gestern ein historisches Abkommen unterzeichnet. Es soll die Wirtschaft Taiwans und der Volksrepublik enger miteinander verbinden. In der zentralchinesischen Stadt Chongqing verabredeten Vertreter beider Seiten einen Rahmenvertrag, der die Zölle für 800 Produkte senkt. Auch sollen Bankgeschäfte und Investitionen auf beiden Seiten der Taiwanstraße erleichtert werden. Taiwans Präsident Ma Ying-jeou sprach von einem „Schritt Richtung Frieden und Wohlstand“.

Chinas Führung verspricht sich einen größeren Einfluss auf die 23 Millionen Einwohner der Insel, die sie als abtrünnige Provinz betrachtet. Peking will Taiwan wieder unter Chinas Herrschaft holen. Taiwans regierende Partei Kuomintang erhofft sich bessere Geschäfte nicht nur in China, sondern in ganz Asien, wo Firmen aus der Volksrepublik zunehmend dominieren. Zum Jahresbeginn vereinbarte Peking schon den Freihandel mit Südostasiens Asean-Staaten.

Nach Mas Amtsantritt 2008 startete Peking eine Charmeoffensive. Auf dem Festland setzte sich die Einsicht durch, dass man auf der Insel Sympathien eher jedoch durch praktische Erleichterungen als durch Drohungen gewinnt. Der Freihandelsvertrag ist der zweite Schritt zu besseren Beziehungen. Seit 2009 dürfen Touristen und Geschäftsleute direkt zwischen zahlreichen Städten über die Taiwan-Straße hin und her fliegen. Zuvor mussten Flugzeuge immer in Hongkong oder Macao zwischenlanden.

Rund 40.000 taiwanische Firmen haben in den letzten 20 Jahren 83 Milliarden US-Dollar in der Volksrepublik investiert. Die wirtschaftliche Annäherung führte aber nicht zu militärischer Entspannung: Chinas Armee richtet weiterhin über 1.000 Raketen auf Taiwan, das sich jedoch seit 1949 selbst regiert. Damit sollen die Insulaner daran gehindert werden, sich formal für unabhängig zu erklären.

Chongqing war als symbolischer Ort der Unterzeichnung gewählt worden: Dort hatten die Kommunisten und die Kuomintang im Zweiten Weltkrieg zeitweilig ihr Hauptquartier, als sie gemeinsam gegen die japanische Besatzung kämpften.

Die Freude der Politiker konnte gestern nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kritiker in Taiwan das Abkommen für einen Fehler halten. Die Opposition wirft Ma vor, sich zu stark Pekings Konditionen zu unterwerfen. Das Abkommen sei ein Trick, Taiwans Eigenständigkeit zu untergraben. Dessen Versuche, eigene Abkommen mit anderen Staaten zu verabreden, werden von Peking weiter verhindert. Am Wochenende hatten in Taipeh Zehntausende gegen den Vertrag protestiert und ein Referendum gefordert. Die Regierung, die sich auf eine Zweidrittelmehrheit im Parlament stützt, lehnt dies ab.