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Archiv-Artikel

Der Ikarus von Altona

Es war ein steiler Höhenflug, die Politkarriere des Bülent Ciftlik, die am Montagabend vor dem Amtsgericht Hamburg-St. Georg jäh endete. Früh schon erkannte sein politischer Ziehvater, der heutige Hamburger SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz, das Potenzial des Sohns türkischer Einwanderer, der wie Scholz im SPD-Bezirk Hamburg-Altona seine politische Heimat hat.

Im Alter von 32 Jahren wurde der politische Ziehsohn von Scholz Parteisprecher der Hamburger SPD, 2008 zog er als Abgeordneter in die Hamburgische Bürgerschaft ein, wurde migrationspolitischer Sprecher seiner Partei. Hofiert von den Medien, die ihn aufgrund äußerlicher Ähnlichkeiten und seines amerikanischen Wahlkampfstils zum „Obama von Altona“ verklärten, schien sein weiterer Aufstieg unaufhaltsam. Schon bald machte die Fiktion vom ersten Hamburger Bürgermeister mit Migrationshintergrund in der SPD die Runde – nicht unbedingt zur Freude aller Genossen, von denen ihm viele seinen Karriereflug neideten und einige bald gegen ihn zu intrigieren begannen.

Berauscht vom eigenen Höhenflug, setzte Ciftlik alles auf die Karte Parteikarriere, ohne nach anderen Trümpfen Ausschau zu halten. Auch ohne starke Hausmacht in der SPD kam er – wie einst Ikarus – der Sonne sehr schnell sehr nah, zu nah.

Der unaufhaltsame Absturz des SPD-Hoffnungsträgers und „Vorzeigemigranten“ begann, als im Mai 2009 die Staatsanwaltschaft seine Wohnung wegen des Verdachts der Anstiftung zu einer Scheinehe durchsuchte. Weil Ciftlik seinen Chef, den damaligen Landesvorsitzenden Ingo Egloff, nicht über die laufenden Ermittlungen informiert hatte, wurde er als SPD-Sprecher suspendiert, verlor den Job später ganz. Als im Januar Anklage gegen ihn erhoben wurde, drängte ihn Scholz, auch sein Bürgerschaftsmandat ruhen zu lassen.

Doch Ciftlik kämpfte weiter verbissen um seine Karriere – ohne Distanz zu sich selbst und zum Verfahren, ohne berufliche Perspektive im Falle einer Verurteilung. Er wird weiter kämpfen, versuchen, in der nächsten Instanz das Schicksal noch irgendwie zu wenden, auch wenn seine Partei längst den Stab über ihn gebrochen hat. MARCO CARINI

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