atomdebatte : Rasant ins Abseits
Als selbst ernannter Innovationsminister und FDP-Chef ist Andreas Pinkwart innerhalb der nordrhein-westfälischen Landesregierung für Tempo zuständig. Jetzt hat er einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt: Innerhalb von 24 Stunden vollzog der Minister sowohl den erneuten Einstieg in die Kernenergie als auch den sofortigen Wiederausstieg – rein gedanklich, versteht sich. Denn der von Pinkwart angeregte und gleich wieder dementierte Bau eines Atomkraftwerks in Jülich ist so real wie eine Fata Morgana: Rechtlich nicht machbar, politisch nicht durchsetzbar und obendrein technologisch fragwürdig.
KOMMENTAR VONKLAUS JANSEN
Die Thorium-Hochtemperaturtechnologie, von der neben Pinkwart auch Wirtschaftsministerin Christa Thoben schwärmt, ist bereits in den achtziger Jahren gescheitert. Kurz nach dem Tschernobyl-Desaster schrammte der Versuchsreaktor in Hamm-Uentrop nach einem Leck ebenfalls nur knapp an einer Katastrophe vorbei. Das Kraftwerk musste geschlossen werden, aus dem Prestigeprojekt wurde ein Milliardengrab. Für die Instandhaltung der Reaktorruine gibt das Land noch immer Jahr für Jahr Millionen aus.
Dass Pinkwarts Idee eines Kraftwerkbaus allein schon nach Recht und Gesetz unmöglich ist, macht den dilettantisch geplanten Vorstoß noch peinlicher. Zu durchsichtig ist der Versuch, dass Thema zu Beginn der Sommerpause im politischen Berlin zu platzieren und so für Streit in der großen Koalition zu sorgen.
Worauf hofft Pinkwart also? Dass SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel klein beigibt und das Atomgesetz ändert? Wer den Ehrgeiz des machtbewussten Niedersachsen kennt, kann dies getrost ausschließen. Ein wildgewordener Landesminister und habilitierter Chaostheoretiker, der sich innerhalb eines Tages korrigieren muss, kann jedenfalls keine neuen Atomkraftwerke herbeischreien. Er kann sich nur blamieren.