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Der Mann mit dem Messer

Warum tut sich das Theater so schwer, interessante Stoffe aus dem Kontext unserer Einwanderungsgesellschaft zu erzählen? Wo die Welt weiter wird, da wird sie auf der Bühne oft klein und eng. Der Ausbruch gelingt nur da, wo man statt Verständnis heischender Gesten die Flucht nach vorn sucht

Dann aber: Wütende, explosive Reden zwischen Islam und sexuellem Freiheitsdrang!

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Da liegt eine Matte. Eine kleine orientalische Matte, sauber zusammengerollt. Dein Gesicht, ganz nah.

„Ist das Ihre?“

„Ja.“

„Machen Sie Yoga?“

„Nein. Das ist mein Gebetsteppich. Ich bete.“

„Ah.“

Und du setzt dich, und du … du siehst aus dem Fenster, und du … hast Angst … du sitzt in einem Flugzeug, hoch in der Luft, neben einem großen dunkelhäutigen Kerl, dessen Gebetsteppich über dir liegt und dessen Messer in der Tasche vor dir steckt.

Mit dieser Szene im Flugzeug beginnt das Drehbuch, das in Marc Ravenhills Theaterstück „Product“ ein Filmproduzent einer jungen Schauspielerin erzählt, die nicht einen Pieps zu sagen hat. Marc Ravenhill spielt die Rolle selbst am Paines Plough Theatre in London und war damit zu Gast auf dem gerade beendeten Festival „Neue Stücke aus Europa“ in Wiesbaden. Er spielt die Figur des Filmproduzenten mit Arroganz, großer Überzeugung von sich selbst und einem Charisma, die umso bedrohlicher und erdrückender werden, je mehr er sich in die Geschichte des Drehbuchs hineinsteigert. Er ist der Dogmatiker, der Wahnsinnige, der Sex- und Gewaltfixierte, dem die Realität immer mehr abhanden kommt.

In dem Drehbuch aber, das er erzählt, wird all das durch die Begegnung mit dem dunkelhäutigen Fremden mit Messer und Gebetsteppich ausgelöst. Es ist eine wüste Kolportagegeschichte, eine Amour fou zwischen der neurotischen, reichen Londonerin Amy und Mohammed, Abgeordneter von al-Qaida, voller Klischees, die alle einmal Salto schlagen. Am Ende befreit Amy in einer Art Ramboaktion ihren orientalischen Lover aus einer Art Guantánamo. Die Figur Mohammeds funktioniert dabei für den Filmproduzenten als erlebnissteigernde Droge, als sexuelle Stimulanz, verkaufsfördernde Ware, als Projektionsfläche und dramaturgisches Beschleunigungsmittel jeder Form von Katastrophe. „Product“ ist ein zynischer Text, der sich durch die gedoppelte Fiktion, ein Drehbuch wird erzählt, auch irgendwie in eine Unangreifbarkeit zurückzieht. Und das Gemeinste ist, dass man sich dem Witz des Immer-noch-eins-Draufsetzens schwer verweigern kann.

Es scheint kein Zufall, dass in Ravenhills „Product“ der Umgang mit dem Fremden über den Umweg einer Filmgeschichte auf die Bühne kommt. Denn das Theater, gebunden an die Sprache und meist an regionale Institutionen, tut sich schwer mit dem Kontext von Migrationsgesellschaften, schwerer jedenfalls als Musik, Tanz, bildende Kunst und Film. Das Theater bildet den Nachzügler, der zuletzt auf die Entdeckung der Geschichten der Einwanderung aufspringt, die als Teil europäischer Identität zu begreifen aber immer notwendiger wird. Am Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) war es eine Gruppe von deutsch-türkischen Filmregisseuren, Autoren und Autodidakten, die zur so genannten dritten Generation der Migration gehören und sich in Film, Musik und Literatur schon ein eigenes Terrain erobert hatten, die erst Anfang dieses Jahres eine Reihe von Stücken für die Bühne entwickelten – darunter Feridun Zaimoglus „Schwarze Jungfrauen“. Aus Spanien berichtete der Theaterautor Carles Batlle, der für das Festival in Wiesbaden die Theaterszene dort beobachtet, von einer ungefähr seit acht Jahren bestehenden Szene eines dokumentarischen Theaters, die die Geschichten der aus Afrika nach Europa Flüchtenden sammeln. Der Strand, die Häfen, Schiffe und Boote, das sind die Schauplätze dieser Erzählungen von den Rändern Europas und zugleich Chiffren für ein Leben, das großen Gefährdungen ausgesetzt ist.

Liest man im schönen Katalog der Biennale Wiesbaden, der mit Inhaltsangaben, Szenenausschnitten, Interviews mit und Porträts der Autoren ein gutes Bild vermittelt, zeigt sich, dass ungefähr ein Drittel der 28 eingeladenen „neuen Stücke“ die Figur eines Migranten, eines Fremden oder eines Menschen auf die Bühne brachte, der als solcher zumindest wahrgenommen wird, auch wenn er sich selbst nicht so sieht. Das waren manchmal sehr bemühte Stücke, die eine schwere didaktische Last und historische Verantwortung wortreich stemmten. Vom Teatro Aberto aus Lissabon kam zum Beispiel „Weißer Mann, schwarzer Mann“ des Autors Jaime Rocha über einen Rassismus des Wohlwollens. Der weiße Mann ist Angestellter, Gewerkschaftler, antirassistischer Agitator, Sohn von portugiesischen Militärs in den Kolonien. Er weiß immer ganz genau, was der schwarze Mann zu denken und zu fühlen hat. Weil der sich aber, auch wenn sein Job schlecht bezahlt wird, weder als Opfer noch als Repräsentant seiner Herkunft und schon gar nicht als Vertreter einer moralisch immer Recht habenden Empörung sieht, sondern schlicht als Portugiese, der seine Ruhe haben will, streiten die beiden unaufhörlich. Die Inszenierung wirkte nicht selten wie direkt für den Schulunterricht geschrieben, „entdecke Vorurteile und Bevormundung im Gewand des Gutmenschen“.

Vera San Payo, Übersetzerin und Dramaturgin, die Rochas Stück nach Wiesbaden gelotst hatte, erzählte von den vielen Wellen der Einwanderung nach Portugal, dem ehemaligen Weltreich, das heute besonders von Brasilianern angesteuert wird. Hält man das Stück „Weißer Mann, schwarzer Mann“ vor die Folie dieses weltumspannenden Geflechts historischer und biografischer Linien, springt die Enge seines Raums ins Auge. Immer mehr verklammern sich die beiden Figuren, zuerst nur dialogisch, dann auch körperlich. Extreme Horizontverengung, das ist im Kreisen um den thematischen Komplex koloniale Vergangenheit und Rassismus die Krankheit des Weißen, die der Schwarze sich vom Leibe halten will. Sie würgt auch dem Stück langsam den Lebensatem ab.

In die Enge eines Kammerspiels sperrt auch Pieter de Buysser einen Mann und eine Frau in dem Stück „Die Lösung“ (Arbeitstitel), das aus dem kleinen Theater Lampe in Brüssel kam. Die Zuschauer lernen die beiden in einem Hotelzimmer in Paris kennen, das sie nie verlassen werden, aus Furcht, für das Leben draußen nicht die richtigen Papiere zu besitzen. Der Mann, Moassi aus Tunesien, hat eine Geschichte politischer Verfolgung hinter sich, die Frau, Marie-Jeanne, eine Zeit der Trauer und des inneren Sterbens nach einer familiären Katastrophe. Gemeinsam stellen sie sich Fragen danach, ob man aus seiner Geschichte, seiner Herkunft und dem Definiertwerden von außen aussteigen kann – die Antwort bleibt offen. Die Figur des Fremden funktioniert hier als starker und poetischer Wegbegleiter, wenn man sich an das Abenteuer existenzieller Fragen macht.

Tatsächlich war das Interesse an philosophischen Fragen der Ausgangspunkt für Pieter de Buysser. Dennoch erzählt er, um zu beschreiben, wie sich Moassi gegen ein Festlegen seiner Identität wehrt, eine Episode, wie Moassi in einer Moschee einen Gürtel erhält mit vielen kleinen Taschen für „die, die weitergehen“ und schneller in „Allahs Arme“ gelangen wollen. Die Rede bleibt vage, man denkt trotzdem sofort an Selbstmordattentate. Moassi schenkt seinen Gürtel Marie-Jeanne, die seine Täschchen anders besetzen will: nicht mit Verbindlichkeiten gegenüber einem Glauben, sondern mit metaphorischen Figuren der Befreiung.

So liefern Pieter de Buyssers Stück oder auch Ravenhills Spiel mit den Projektionsflächen nur aus großer Schräglage Beschreibungen und Kommentare zur Gegenwart von Europa und seinen Einwanderungsländern. „Schwarze Jungfrauen“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel geschrieben und Nico Celik inszeniert oder Tamer Yigits Stück „Meine Melodie“, die im Berliner HAU-Theater herauskamen, waren da viel direkter und unmittelbarer. Sie erzählten von einem Alltag, der dauernd unter großer Spannung steht, der unentwegt Entscheidungen über die eigene Zugehörigkeit verlangt. Tamer Yigit fand vor allem körperlich starke Bilder für eine Generation, die stark sein will, unruhig ist, unentwegt trainiert und das Älterwerden, die Schwäche, die Krankheiten und die Vergangenheiten ihrer Eltern fürchtet. Auch als Künstler selbst erfährt der junge Theatermacher es als Beschränkung, allein in dem thematischen Kontext von Migrationsgeschichten wahrgenommen zu werden – und nicht davon unabhängig.

Die „Schwarzen Jungfrauen“ (nachzulesen in Theater heute) sind die explosivste Geschichte in diesem Raum, wütende, aggressive, Furcht erregende Reden, die von sehr komplexen und komplizierten Strategien erzählen, Islam und sexuellen Freiheitsdrang, den Geist des Aufbegehrens und den Gehorsam des Glauben neben- oder gar gegeneinander in einem Körper, zu einer Zeit, an einem Ort zu leben. Die Sexiness der „schwarzen Jungfrauen“ liegt in ihrer Radikalität, ihr Witz in der Unverfrorenheit selbst da noch, wo sie sich in Widersprüche verwickeln und Mist reden. Eine Flucht nach vorn eben, statt Mitleid und Verständnis heischender Gesten. Mit Ravenhills „Product“ teilt der Text die Lust am Verwirrspiel mit dem politisch Unkorrekten.

Zaimoglus Text ist vielstimmig, gebaut auf der Grundlage von Gesprächen. Er kam am HAU-Theater in einer Szene heraus, die programmatisch nach solchen Ansätzen sucht. Was der katalanische Autor Carles Batlle von Spanien erzählte, klang nach einem verwandten Ansatz in der dokumentierenden Herangehensweise und im Bestehen einer Szene, die auch zu Versuchen ermutigt. Doch solche Initiativen sind im Theater noch immer die Ausnahme.

Zaimoglu/Senkel: „Schwarze Jungfrauen“, in „Theater heute“ Nr. 5. Übersetzungen der „Neuen Stücke aus Europa“ gibt es als Texthefte, hg. vom Hessischen Staatstheater Wiesbaden

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