piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Klang der Zwischennutzung hallt noch nach

SOUNDDATEN Von Freiheitsrhythmen zu Zwangsnetzwerken: Der Musiker Robert Henke und die Journalistin Claudia Wahjudi sprachen in der Volksbühne über elektronische Klangräume und soziale Netzwerke in den Neunzigern. Henke spielte ein paar Skizzen dazu

Über die Neunziger sprechen, das macht man nicht, man will ja nicht alt erscheinen

Was macht die Digitalisierung mit Musikern und ihrer Arbeit? Welche Räume haben sich in den Zeiten des Internets geöffnet, welche geschlossen? In seiner Reihe „Sounddaten – O-Töne aus der Produktion“ lädt der Journalist Tobi Müller Produzenten aus der Elektronikszene in die Volksbühne, um über diese Fragen zu sprechen und unveröffentlichtes Material spielen zu lassen. Der Musiker Robert Henke, ein aktiver Gestalter der Digitalisierung, traf am Dienstag mit der zitty-Kunstredakteurin Claudia Wahjudi zusammen, die seit den Neunzigern die Berliner Szene beobachtet.

Temporäre Zweckgebilde

Im Roten Salon wollte man nicht nur aktuelle Fragen um die elektronische Musik und ihre Räume erörtern, sondern auch, wie Müller sagte, einen „lokalhistorischen Blick“ auf die Berliner Musik- und Kunstszene werfen. Ausgangspunkt war Wahjudis 1999 erschienenes Buch „Metroloops. Berliner Kulturentwürfe“, in dem sie damalige Off-Spaces und Netzwerke der Stadt vorstellte, zu einer Zeit, als das Wort „Kulturwirtschaft“ noch nicht von der FDP für wirtschaftspolitische Propagandazwecke instrumentalisiert wurde und die Künstlernetzwerke temporäre Zweckgebilde ohne den Zwangscharakter heutiger Facebook- und Xing-Gemeinschaften waren. Beim Schreiben des Buchs, so Wahjudi, hörte sie immer wieder zwei Platten: „Hongkong“ und „Interstate“, die beiden ersten Alben von Monolake, Vorreiter eines minimalistischen Techno-Sounds, der später Dubtechno genannt werden sollte. Monolake waren damals ein Duo, bestehend aus Robert Henke und Gerhard Behles.

Henke zeigte ein Foto von sich selbst, wie er als Kind mit Fischertechnik eine Fabrik baut. Und auch wenn Henke später keine monumentalen Anlagen baute, hat er als Softwareentwickler die Entwicklung der elektronischen Musik entscheidend geprägt. Mit seinem Monolake-Partner Behles schrieb er das Musikprogramm „Ableton Live“, das von DJs wie Produzenten auf der ganzen Welt verwendet wird. Der Erfolg der Firma Ableton war denn auch der Gründ, weshalb sich Behles irgendwann von Monolake verabschiedete. Was Wahjudi so an Monolake faszinierte, waren die „Freiheitsrhythmen“ und Räume, die sich in dieser hallbetonten Musik öffnen: „Die Alben wirken wie grüner Tee. Es macht wach, ohne aufzuputschen. Damit öffnen sich Denkräume.“ Ironischerweise schrieb Henke die Musik damals in einer 30-Quadratmeter-Wohnung in Prenzlauer Berg, kurz bevor der große Gentrifizierungssog einsetzte – die Wohnung wurde ihm 2000 für den Preis von 300.000 DM zum Kauf angeboten. Damit war das Thema der Zwischennutzung von Berliner Räumen durch Kreative in den Neunzigern angesprochen, auch wenn Wahjudi einräumte: „Über die Neunziger sprechen, das macht man nicht, man will ja nicht alt erscheinen.“ Da zwei Drittel der Berliner Bevölkerung nach 1998 in die Stadt gekommen seien, müsse man es freilich immer wieder tun, um den neu Hinzugekommenen die Vergangenheit verständlich zu machen.

Hanoier Autohupen

Zwischendurch wurde das Gespräch von kurzen Einblicken in Henkes aktuelle Arbeit rhythmisiert. So stellte er einige „Etüden“ vor, Rohmaterial für seinen kommenden Auftritt im Berghain, bedrohliche Digitalbässe, über denen er mit Bedacht kitschige Streicherakkorde verteilt. Besonders schön geriet seine PowerPoint-Präsentation mit zunehmend verwirrenden Schaubildern, in der er von einer Einladung des Goethe-Instituts Hanoi zu einem Musikfestival für Field Recordings berichtete. Dazu spielte er Skizzen aus transformierten Hanoier Autohupen, Material für ein zukünftiges Album. Als sie die Bilder von Hanois verkehrsverstopften Straßen sah, musste Wahjudi, die einige Jahre zuvor selbst in Vietnam gewesen war, einräumen: „Nicht nur Berlin hat sich stark verändert.“

TIM CASPAR BOEHME

■ Monolake spielt am 9. Juli im Berghain, 23 Uhr