: Die Wirtschaft schluckt die Wissenschaft
FUSION In Österreich hat die Große Koalition das Wissenschaftsministerium abgeschafft. Für Lehre und Forschung ist jetzt der Wirtschaftsminister zuständig
WIEN taz | Erinnerungen an die turbulente Vereidigung der schwarz-blauen Schüssel-Haider-Regierung vor fast 13 Jahren wurden wach, als der sozialdemokratische Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger von der Österreichischen Volkspartei Mitte Dezember mit dem neuen Regierungsteam zum Bundespräsidenten schritten. Studierende, aber auch Lehrpersonal der Unis hatten sich eingefunden, um lautstark zu protestieren. Diesmal ging es weniger um die handelnden Personen als um den Beschluss, das Wissenschaftsministerium wegzurationalisieren. Die Agenden von Wissenschaft und Forschung finden sich jetzt unter dem Dach des Wirtschaftsministeriums.
„Schäbig, armselig und dumm“, urteilt die bekannte österreichische Molekularbiologin Renée Schroeder. Die Entscheidung sei „verheerend für Wissenschaft und Bildung“. Ähnlich lauteten die ersten Reaktionen aus Österreichs Forschungsstätten. Auch aus den eigenen Reihen hagelte es Kritik. Die bürgerliche Österreichische Studentenunion rief zum Protest auf. Der Exwissenschaftsminister und ehemalige ÖVP-Chef Erhard Busek hält die Entscheidung „für einen ganz entscheidenden strategischen Fehler“, zumal Parteifreund Karlheinz Töchterle als Minister eine gute Figur gemacht hätte.
Töchterle selbst, der erst in letzter Minute vom Verschwinden seines Ressorts informiert wurde, reagierte sichtbar verstört. Schließlich sei er nicht nur kompetent gewesen, sondern habe im Popularitätsranking der Boulevardpresse stets auf den vorderen Plätzen rangiert. So beeilte sich der bisherige Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) zu versichern, das Ressort werde keineswegs aufgelöst oder der Logik der Ökonomie unterworfen. Vielmehr gelte es, Synergieeffekte zu nutzen. Damit der Stellenwert der Wissenschaft entsprechend gewürdigt wird, heißt das gemeinsame Ministerium jetzt Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft.
Tatsächlich dürfte bei den Überlegungen der ÖVP-Spitze kein Attentat gegen die Universitäten geplant worden sein. Es geht ihnen finanziell schon schlecht genug. Vieles spricht dafür, dass die Wissenschaft einem Deal zum Opfer fiel. Demnach war Parteichef Spindelegger der Meinung, die ÖVP brauche noch ein „weiches“ Ressort. Also erklärte man die im Wirtschaftsministerium angesiedelte Sektion für Jugend und Familie zum eigenständigen Ministerium und kassierte im Gegenzug das Wissenschaftsministerium.
Nach den ersten Protesten kehrte vorsichtige Zurückhaltung ein. Heinz Engel, Rektor der Universität Wien, erklärte im TV-Interview, er vertraue darauf, dass die Politik Wort halte. Den finanziell ausgehungerten Unis wurden zusätzliche Mittel versprochen. Weniger optimistisch wird Wolfgang Schütz, Rektor der Wiener Medizinuniversität, im Wochenmagazin profil zitiert: „Für Forschungsangelegenheiten hat die Regierungsspitze in Österreich schon bisher relativ geringes Interesse gezeigt. Deswegen sei zu befürchten, „dass der Stellenwert von Wissenschaft und Forschung in Österreich weiter sinken wird.“
RALF LEONHARD
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