: Einfach nur die Hand heben
WUNDERN Liebeskummer und Zahnschmerzen: „Die Herrenausstatterin“ von Mariana Leky ist der bezauberndste und lustigste Liebesroman seit langem. Und er ist unendlich traurig
VON WIEBKE POROMBKA
Es gibt Dinge, die können verflucht schmerzhaft werden. Misslicherweise ist die Liebe eines dieser Dinge, und misslicherweise kommt man um die in den seltensten Fällen herum. Genauso wenig wie um den Zahnarzt. Jakob allerdings, der Zahnarzt, auf dessen Behandlungsstuhl es die zahnleidengeprüfte Katja, die Erzählerin aus Mariana Lekys Roman „Die Herrenausstatterin“, verschlägt, hat einen Satz parat, der zwar ganz und gar nicht ungewöhnlich ist, sich für Katja aber wie ein kleines Wunder anhört: „Heben Sie bitte sofort die Hand, wenn es schmerzhaft wird, dann hören wir schnurstracks auf.“ Nicht zuletzt diesem Satz mag geschuldet sein, dass Jakob zu Katjas großer Liebe wird. Scheint er doch wie ein magisches kleines Heilsversprechen: Wenn es schmerzhaft wird, muss man einfach nur die Hand heben. Schien, um genau zu sein. Denn gleich zu Beginn von Lekys Roman ist klar, dass das Versprechen nicht gehalten hat, der Schmerz ist da, jede betäubungslose Zahnwurzelbehandlung wäre eine Farce dagegen: Jakob hat Katja nicht nur für eine andere verlassen, er stirbt auch kurz darauf bei einem Autounfall. Da kann man nun die Hände noch so hoch recken.
Das Wundersame und Wunderliche an diesem Roman ist, dass Leky, 1973 geboren, genau das Gegenteil dessen macht, was Liebesschmerz gemeinhin auslöst. Sie lässt ihre Erzählerin nicht lamentieren oder klagen, der Kummer wird auch nicht in metaphorische Höhen gehoben. Leky bricht stattdessen alles Emotionale ins Konkrete hinunter. Mehr noch: sie verdinglicht es auf fast märchenhafte Weise. Als Katja merkt, wie Jakob sich immer weiter von ihr entfernt, wie sie ihn aus den Augen verliert, bekommt sie ein eigenartiges Augenleiden. Und kurz vor Jakobs Beerdigung, fast besinnungslos unter einer Glocke von Schmerz, trifft sie einen vornehmen älteren Herrn, Blank, Altphilologe, seinerseits bereits vor einiger Zeit gestorben, der plötzlich auf ihrem Badewannenrand sitzt und ohne große Erklärungen bleiben wird. Dass Katja ohne Blank, der ihr Weltraumnahrung verabreicht, damit sie überhaupt etwas zu sich nimmt, die kommenden Wochen schwerlich durchstehen würde, muss Leky nicht noch einmal gesondert sagen.
Eine Reise ans Meer
Plötzlich taucht noch ein Mann auf, lebendig zwar, ansonsten allerdings durchaus fadenscheinig: Armin, der eines Abends an Katjas Tür klingelt, behauptet, Feuerwehrmann zu sein (Katja indes vermutet, dass seine Uniform aus einem Kostümverleih stammt). Vollkommen sinnloserweise kraucht er zunächst mit einer Taschenlampe durch ihre Wohnung, weil er irgendwo ein Feuer vermutet oder das zumindest vorgibt, erzählt ansonsten leidenschaftlich Karatefilme nach, und das chronologisch, und hat einen leichten Hang zur Kleptomanie. So umwerfend komisch ist diese abseitige Szenerie, die Leky aus der Traurigkeit heraus entspinnt, dass man das Wundern darüber ganz vergisst.
Zweifelsohne hat Katja einfach nicht mehr die Kraft, sich über diese beiden Herren zu wundern, wie sie sich überhaupt wenig wundert, sondern die Abstrusitäten des Lebens wie selbstverständlich nimmt, als gehörten sie eben dazu, die großen wie die kleinen (den anderthalb Meter hohen pinkfarbenen Porzellanflamingo etwa, den sie und Jakob zur Hochzeit bekommen haben und der fortan wechselweise im Wohnzimmer oder Garten steht, weil Katja der Überzeugung ist, man dürfe Geschenke nicht einmotten, geschweige denn wegschmeißen). Diese Selbstverständlichkeit sollte man nicht mit Naivität verwechseln. Vielmehr lässt Leky in ihrem Roman auf ganz unmittelbare Weise fassbar werden, was im Grunde unfassbar ist. Diese Unmittelbarkeit ist nicht zuletzt Lekys Sprache geschuldet. Wie schon in ihrem Erzählungsdebüt „Liebesperlen“ und dem Roman „Erste Hilfe“ aus dem Jahr 2004 ist die ganz und gar leicht, musikalisch, zugleich aber so bewusst komponiert, dass jede der zaubrigen Pointen nicht nur glockenklar klingt, sondern auch noch auf den Punkt genau sitzt.
Grandioser Höhepunkt der eigenwilligen Menage à trois ist eine Reise ans Meer, die Katja mit den beiden Herren, die so unversehens in ihr Leben getreten sind, unternimmt. Zu allem schönen Überfluss trifft man dort noch einen abgehalfterten Karatefilmdarsteller, dem Karate-Fan Armin mehr als sprichwörtlich zu Füßen liegt, und flugs ist das Männerensemble noch ein bisschen eigenartiger. Als die drei Herren – Armin, selig ob der intimen Nähe zu dem Star, derselbst sturzbetrunken und Blank, unsichtbar (denn sehen kann ihn nur Katja) – ausgelassen in den Fluten toben, liegt Katja allein am Strand, blickt zu ihnen herüber und kann zum ersten Mal seit langer Zeit weinen. Und lachen muss sie auch, es ist auch einfach zu blöd, was sich da im Wasser abspielt.
„Gleich ist es vorbei.“ Dieses Schild hing bei Jakob über dem Behandlungsstuhl, man blickte darauf, während er den Bohrer ansetzte. In Lekys magischen kleinen Weltdeutungen mag das Warnung vor dem Ende des Schönen und Hoffnung auf ein Ende des Unerträglichen zugleich sein.
■ Mariana Leky: „Die Herrenausstatterin“. DuMont, Köln 2010, 208 Seiten, 18,95 Euro