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Archiv-Artikel

Arschgeweih reloaded

KLEBEBILDER Keine Schmerzen, große Wirkung und bei Bedarf gleich wieder abgewaschen – Pariser Künstler und Modemacher haben Kurzzeit-Tattoos als Accessoire entdeckt. Wer solch ein limitiertes Körperkunstwerk kauft, ist für kurze Zeit Teil eines Projekts

Abziehkunst

■  So geht’s: Schachtel öffnen, Klebebild herausnehmen, Folie abziehen, Kunstwerk auf die gewünschte Hautstelle legen, mit nassem Schwamm Wasser daraufstreichen, 30 Sekunden draufdrücken, Papier abziehen und hip sein.

■  Da kriegt man es: Auf www.tink-it.com gibt es für 39 Euro eine Mappe mit Gebrauchsanleitung, Informationen zum Künstler und zwei kleinen Bildern: das eine für die Haut, das andere zum Sammeln.

■  Der Plan B: Die effektivste Methode, sein Arschgeweih loszuwerden, ist die Rubinlasertherapie: Dabei wandelt ein Lichtimpuls die Pigmente des Tattoos in Wärme um und löst es so langsam auf.

AUS PARIS ANNABELLE HIRSCH

Eigentlich war Tattootragen mal rebellisch. Was ursprünglich als Distinktionsmerkmal von Verbrechern, Prostituierten und anderen Außenseitern der Gesellschaft angesehen wurde, trat in den letzten zwanzig Jahren einen beispiellosen Siegeszug an. Fast jeder Vierte in Deutschland, der jünger als dreißig Jahre ist, hat ein Tattoo. Unter den Gebrandmarkten finden sich neben Teenagern und Punks auch Professoren, Fußballer, Models – sogar Deutschlands neue „First Lady“, Bettina Wulff, hat ihren Arm kunstvoll verzieren lassen. Tattoos sind vollkommen in der Massenkultur angekommen, nur selten taugen sie zum rebellischen Statement.

Auch die Tätowierer haben ihr Image verändert: Keine Ex-Knackis oder Seemänner stechen heute die begehrten Bilder unter die Haut, sondern Absolventen einer Kunsthochschule, die von der Kunstszene gefeiert werden.

Doch während der Trend zum Tattoo weiter besteht, wächst auch die Gruppe derer stetig, die ihr Sternchen, ihren Kolibri und vor allem ihr Arschgeweih wieder loswerden wollen. In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Anzahl der Laserbehandlungen laut dem dermatologischen Zentrum in Berlin verdoppelt. Wenn auch das Tätowieren für viele eine Lebensphilosophie ist, bleibt es doch für einen Großteil ein bedeutungsleeres Motiv – eine Mode, die irgendwann vergeht.

Dieser Kategorie von Tattoo-Trägern hat sich jetzt die Pariser Mode- und Kunstszene angenommen. Bei den letzten Prêt-à-porter-Schauen in Paris präsentierten zwei Vertreter des französischen „bon goût“, Chanel und Louis Vuitton, neben Kleidern, Taschen und Schuhen auch ihre ersten Abzieh-Tattoo-Kollektionen: Verdrehte Ketten, bunte Vögel und verkreuzte Cs des Markenlogos Chanel wandeln seit dieser Saison auf den Körpern der Models über den Laufsteg.

Der Reiz des Vergänglichen

Für weniger modeaffine Kandidaten des Kurzzeitbeklebens spielen Laura Bresteau und Dorothée Dalaine von Tink-it mit dem neuen Trend. Ihre auf 500 Stück limitierten Editionen vergänglicher Tattoos lassen sie von je fünf zeitgenössischen Künstlern zeichnen. Ist die Auflage verkauft, dürfen fünf neue Künstler ans Werk. Das Prinzip der Tink-it-Tattoos erinnert an die kitschig bunten Bildchen, die sich früher in Kaugummipackungen versteckten. Man kann sie schnell und schmerzlos für eine Party auftragen und anschließend wieder abwaschen.

Doch anders als bei den Tätowierungen von Chanel oder Vuitton geht es beim Kurzzeit-Körperschmuck von Tink-it nicht ausschließlich um den dekorativen Effekt, sondern auch um das Konzept, das dahintersteht: „Wir haben eine originelle Fläche für Kunstwerke gesucht“, sagt Tink-it-Chefin Dalaine. Sie selbst trägt ein echtes Tattoo auf dem Rücken. Eine Jugendsünde, sagt sie, die sie gerade beseitigen lässt.

„Die Haut als Träger hat uns deshalb interessiert, weil der Körper in das Werk aufgenommen wird, es aber trotzdem unmöglich ist, sich dieses anzueignen, da es ja nur auf Zeit ist.“ Ihre Künstler sind alle in renommierten Galerien in Paris vertreten, haben Ausstellungen in Kunsthallen wie dem Jeu de Paume, dem Palais de Tokyo und der Fondation Cartier hinter sich. Auch für sie war die Idee der Vergänglichkeit verlockend: Indem das Werk nur über seine Träger transportiert wird und nach etwa zwei bis drei Tagen wieder verschwindet, sehen sie es als eine Art kollektive Performance innerhalb einer Stadt, ein „work in progress“.

Ob alle Träger des „temporary ink“ – kurz Tink, also der Kurzzeit-Tinte – ebenso konzeptuell veranlagt sind, ist fraglich. Bresteau unterscheidet drei Kategorien von Kunden: Ein Großteil trägt es einfach aus modischen Gründen, andere wiederum, weil ihnen das Konzept gefällt, einige kaufen es auch nur, um die kleinen Bildchen, die es zu den Klebebildern gibt, zu sammeln.

„Die Haut als Träger hat uns interessiert, weil der Körper in das Werk aufgenommen wird, es aber trotzdem unmöglich ist, es sich anzueignen, da es ja nur auf Zeit ist“

TINK-IT-CHEFIN DOROTHÉE DALAINE

Eine lebendige Leinwand

Den jungen Künstlern gibt das Tink-it-Konzept die Möglichkeit, sich auf einem ganz neuen Terrain, abseits ihrer eigentlichen Arbeit, auszuprobieren. Bevor Brestau und Dalaine sie zur Körperkunst riefen, hatten alle fünf der aktuellen Tink-it-Kollektion weder mit Tattoos noch mit Body-Art zu tun: Benjamin Sabatier ist Installationskünstler, Olivier Kosta-Théfaine Graffitikünstler, Gilles Balmet Videokünstler und Maler, YZ widmet sich hauptsächlich der Streetart, und Julien Langendorff arbeitet als Illustrator.

So unterschiedlich wie die Backgrounds sind auch die Ergebnisse: Sie reichen von Sabatiers Fingerabdruck als künstlerischem Markenzeichen über YZs fotografisch genaue Abbildung einer Wandfassade in New York hin zu Langendorffs verträumter Zeichnung „Daughter of Darkness“. Jedes Motiv hebt sich von der Kaugummi-Klebebildchen-Ästhetik vor allem durch feine Ausarbeitung der Details ab: Kein professioneller Tätowierer könnte die Kunstwerke so präzise in die Haut stechen.

Der Träger kann mit den neuen Tattoos also endlich wieder Eindruck schinden: Als lebendige Leinwand lässt sich lang und breit über den Künstler, sein Schaffen und die eigene Rolle innerhalb des Werkes philosophieren. Mit einem Tink verwandelt man sich für drei Tage zu einer Art Wandergalerie und kann dem Künstler seiner Wahl ein Publikum außerhalb des klassischen Kunstbetriebs verschaffen. So wird das Tätowieren, gerade weil es nur kurze Zeit bleibt, wieder etwas Besonderes.