: Im Kampf gegen den Geflügelgiganten
PANTER-PREIS-KANDIDATEN II Auf der eigenen Hühnerfarm hat ein mutiges Paar Tierquälerei enthüllt
■ Die Nominierten: Sechs Kandidaturen hat unsere fünfköpfige Jury für den diesjährigen Panter Preis ausgewählt; heute stellen wir Ihnen Kerstin Wessels und Steffen Pohl für diese Auszeichnung um Mut und Engagement vor. Beide haben die entsetzlichen Tierhaltungsbedingungen eines Geflügelkonzerns an die Öffentlichkeit gebracht.
■ Die Verleihung: Am 18. September wird im Deutschen Theater Berlin der Panter Preis verliehen. Genau genommen sind es zwei Panter Preise, mit denen Projekte ausgezeichnet werden, die von persönlicher Courage geprägt sind. Beide Preise sind mit je 5.000 Euro dotiert. Einen Preis vergibt eine Jury aus tazlerInnen mit prominenter Hilfe, einen zweiten vergeben Sie.
■ Die Porträts: Seit voriger Woche können Sie die KandidatInnen jeweils in der sonntaz und auf taz.de begutachten und schließlich jeneN, der oder die Ihnen am preiswürdigsten scheint, für den taz Panter LeserInnenpreis wählen. Nach Farzin Akbari Kenari und Kerstin Wessels/Steffen Pohl porträtieren wir dann an gleicher Stelle den dritten Kandidaten. Die Porträts und mehr Infos unter: taz.de/panter
VON MANUELA HEIM
Kerstin Wessels liebt Heavy Metal, Landluft, Gartenarbeit, aber vor allem Tiere. Sie hasst große Städte, langweilige Jobs und Tierquälerei. Im vorigen Jahr haben sie und ihr Mann eine Hühnerfarm übernommen und sich über Monate selbst als Tierquäler gefühlt. Für beide ein unerträglicher Zustand, den sie mit einer mutigen Aktion beendeten. Das Ehepaar hat den Geflügelproduzenten PHW und seine führende Marke Wiesenhof gehörig ins Schwitzen gebracht.
Seit vier Jahren sind Kerstin Wessels, 34, und Kraftfahrer Steffen Pohl, 45, verheiratet. „Wir wollten zusammen sein, deshalb haben wir das mit der Farm gemacht“, erinnert sich Kerstin Wessels. In Niedersachsen übernehmen sie Anfang 2009 eine Hühnerfarm mit 26.000 Elterntieren. Ihr Job: möglichst viele befruchtete Eier an Wiesenhof liefern. Schon in der Einarbeitungszeit stört sie der aus ihrer Sicht schlechte Umgang mit den Tieren auf anderen Farmen. „Aber wir waren so naiv, zu glauben, wir könnten das anders machen“, sagt Wessels.
Schon als die ersten eigenen Hähne und Hühner gebracht und in die Ställe gepfercht werden, ist Kerstin Wessels geschockt: „Diese Brutalität war unfassbar, einfach unbeschreiblich.“ Auch in den folgenden Monaten mehren sich die negativen Vorfälle. „Das Schlimmste war der Impftrupp“, sagen beide. Alle paar Wochen kommt dieser zur Behandlung der Tiere und sortiert die Leistungsschwachen aus. Die Männer schmeißen die Tiere durch den Stall, stopfen sie ohne Rücksicht auf Knochenbrüche in Käfige. „Das Schreien der Tiere werde ich nie vergessen“, sagt Wessels. Jeden Tag gehen sie und ihr Mann wütend aus dem Stall. Als sie das Gefühl haben, alle Beschwerden beim Produktionsleiter und dem obersten Wiesenhof-Chef nützen nichts, kündigen sie. „Der Drang, einfach abzuhauen, war riesengroß. Aber da war noch die Verantwortung für die Tiere.“ Das Paar beschließt, bis zur Schlachtung zu bleiben. „Unseren Tieren war nicht mehr zu helfen, aber wir konnten das nicht auf sich beruhen lassen. Wir wollten Wiesenhof Einhalt gebieten.“
Das Paar wendet sich an die Tierrechtsorganisation Peta. Erstmals besichtigt ein Tierschützer auf Einladung, am helllichten Tag, die Missstände auf einer Farm. Stefan Bröckling von Peta ist entsetzt, am Küchentisch schmieden die drei einen Plan. In den letzten Monaten filmen sie das Vorgehen des Impftrupps mit versteckten Kameras. „Jetzt passierte etwas“, sagt Wessels, „das ließ uns durchhalten.“
Als Ende Oktober 2009 das letzte Huhn fürs Schlachten verladen ist, verlassen die beiden die Farm, die für sie zum Albtraum wurde. Sie ziehen weit weg, kaufen im ländlichen Sachsen-Anhalt einen eigenen Bauernhof. Anfang Januar sitzen sie vor dem Fernseher. Mit ein wenig Stolz, auch mit Angst verfolgen sie die Enthüllung des Skandals. „Wir wussten, dass Wiesenhof sich das nicht gefallen lässt.“
Nach der Ausstrahlung klagte Wiesenhof Kerstin Wessels wegen „Unterlassen des Tierschutzes“ an. Der Prozess steht noch aus. Zudem hat das Unternehmen eine einstweilige Verfügung gegen Peta erwirkt – die Organisation dürfe nicht mehr behaupten, bei Wiesenhof „herrschten extrem tierquälerische Zustände, die nicht die Ausnahme, sondern die Regel seien“. Wiesenhof hat sich nach eigenen Angaben von mehreren Mitarbeitern getrennt.
„Wenn nur ein paar Leute anfangen, sich Gedanken zu machen, woher das Zwei-Euro-Fleisch aus dem Supermarkt kommt und ob man jeden Tag Fleisch essen muss, dann hat es sich gelohnt“, sagt Kerstin Wessels heute. Sie arbeitet inzwischen in einer Drogerie. Steffen Pohl ist wieder als Lastwagenfahrer unterwegs. Gemeinsam träumen sie davon, die Ställe ihres neuen Hofs mit Leben zu füllen. Die Ereignisse auf der Hühnerfarm werden sie nicht vergessen. „Wir wollten keine Helden sein. Wir haben einfach nur gedacht: Bis hierhin und nicht weiter.“